Gottes
auserwähltes Volk
Jostein Gaarder, Aftenposten 05.08.06 | Aus dem Englischen übersetzt
nach einer Übersetzung aus dem Norwegischen des
Simon-Wiesenthal-Zentrums
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Es gibt keine Umkehr. Es ist an der Zeit, eine neue Lektion zu
lernen: Wir erkennen den Staat Israel nicht länger an. Wir konnten
das südafrikanische Apartheid-Regime nicht anerkennen, und ebenso
wenig das afghanische
Taliban-Regime. Und es gab viele, die Saddam
Husseins Irak oder die ethnischen Säuberungen der Serben nicht
anerkannten. Wir müssen uns nun an den Gedanken gewöhnen: der Staat
Israel in seiner jetzigen Form ist Geschichte.
Wir glauben nicht an die Idee eines von Gott auserwählten Volkes.
Wir lachen über die Hirngespinste dieses Volkes und weinen über
seine Untaten. Als Gottes auserwähltes Volk zu handeln ist nicht nur
dumm und arrogant, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Wir nennen es Rassismus.
Grenzen der Toleranz
Es gibt Grenzen unserer Geduld, und es gibt Grenzen unserer
Toleranz. Wir glauben nicht an himmlische Versprechen als
Rechtfertigungen für Besatzung und Apartheid. Wir haben das
Mittelalter hinter uns gelassen. Wir lachen unbehaglich über jene,
die noch immer glauben, dass der Gott der Flora, Fauna und Galaxien
ein einzelnes Volk vor den anderen als sein Liebstes auserwählt und
ihm lustige Steintafeln, brennende Büsche und eine Lizenz zum Töten
überreicht hat.
Wir nennen Kindermörder ‘Kindermörder’ und werden niemals
akzeptieren, dass diese ein gottgegebenes oder historisches Mandat
besitzen sollen, das ihre Schandtaten rechtfertigt. Wir sagen nur
dieses: Schande über alle Apartheid, Schande über Ethnische
Säuberungen, Schande über jeden Terroranschlag auf Zivilisten, ob er
nun von Hamas, Hisbollah oder dem Staat Israel verübt wird!
Skrupellose Kriegführung
Wir anerkennen Europas tiefe Verantwortung für das Leid der Juden
und nehmen sie auf uns, für die schändliche Verfolgung, die Pogrome,
und den Holocaust. Es war eine historische und moralische
Notwendigkeit für die Juden, ihre eigene Heimat zu erhalten. Der
Staat Israel hat jedoch, mit seiner skrupellosen Kriegführung und
seinen abscheulichen Waffen, seine eigene Legitimität massakriert.
Er hat internationales Recht, internationale Konventionen und
unzählige UN-Resolutionen zum Gespött gemacht, und kann nicht länger
Schutz von diesen erwarten. Er hat die Anerkennung der Welt mit
einem Bombenteppich belegt. Aber fürchtet Euch nicht! Die Zeit der
Not wird bald vorüber sein. Der Staat Israel hat sein Soweto
gesehen. Wir sind nun am Scheideweg. Es gibt keine Umkehr. Der Staat
Israel hat die Anerkennung der Welt vergewaltigt und wird keinen
Frieden haben, bis er seine Waffen nicht niederlegt.
Ohne Verteidigung, ohne Haut
Mögen Geist und Wort die Apartheid-Wände Israels hinwegfegen. Der
Staat Israel existiert nicht. Er ist nun ohne Verteidigung, ohne
Haut. Möge die Welt deshalb Erbarmen mit der Zivilbevölkerung haben.
Denn es ist nicht die Zivilbevölkerung, der unsere
Untergangsprophezeiung gilt.
Wir wünschen dem Volk von Israel Gutes, nichts als Gutes, aber wir
behalten uns das Recht vor, keine Jaffa-Orangen zu essen, so lang
sie faulig schmecken und giftig sind. Es war erträglich, einige
Jahre ohne die blauen Trauben der Apartheid zu leben.
Sie feiern ihre Triumphe
Wir glauben nicht, dass Israel vierzig getötete libanesische Kinder
mehr beklagt als vierzig Jahre in der Wüste, vor dreitausend Jahren.
Wir bemerken, dass viele Israelis solche Triumphe so feiern wie sie
einst die Plagen des Herrn als „angemessene Strafe“ für das Volk
Ägyptens bejubelten. (In dieser Geschichte erscheint der Herr, Gott
von Israel, als unersättlicher Sadist.) Wir fragen, ob die meisten
Israelis glauben, dass ein israelisches Leben mehr wert ist als
vierzig palästinensische oder libanesische Leben.
Denn wir haben Bilder gesehen, auf denen kleine israelische Mädchen
hasserfüllte Grüsse auf jene Bomben schreiben, die auf die
Zivilbevölkerung von Libanon und Palästina abgeworfen werden. Kleine
israelische Mädchen sind nicht niedlich, wenn sie vor Freude
strahlen über Tod und Qual hinter den Fronten.
Vergeltung von Blutrache
Wir anerkennen nicht die Rhetorik des Staates Israel. Wir anerkennen
nicht die Spirale der Vergeltung der Blutrache von „Auge um Auge,
Zahn um Zahn.“ Wir anerkennen nicht das Prinzip von einem oder
tausend arabischen Augen für ein israelisches Auge. Wir anerkennen
keine Kollektivbestrafung oder Bevölkerungsschlankheitskuren als
politische Waffen. Zweitausend Jahre sind vergangen, seit ein
jüdischer Rabbi die altertümliche Doktrin des „Auge um Auge, Zahn um
Zahn“ kritisiert hat.
Er sagte: „Tu an anderen, wie du wolltest, dass sie an dir tun.“ Wir
anerkennen einen Staat nicht, der auf antihumanistischen Prinzipien
gegründet ist, und auf den Ruinen einer archaischen
nationalistischen Kriegsreligion. Oder wie Albert Schweitzer es
ausdrückte: „Humanität besteht darin, dass niemals ein Mensch einem
Zweck geopfert wird.“
Mitgefühl und Vergebung
Wir anerkennen nicht das alte Königreich Davids als ein Modell für
die Karte des Mittleren Ostens im 21. Jahrhundert. Der jüdische
Rabbi erklärte vor zweitausend Jahren, dass das Königreich Gottes
keine kriegerische Wiederherstellung des Königreichs Davids ist,
sondern dass das Königreich Gottes in und um uns ist. Das Königreich
Gottes ist Mitgefühl und Vergebung.
Zweitausend Jahre sind vergangen, seit der jüdische Rabbi die alte
Rhetorik des Krieges entwaffnet und humanisiert hat. Schon zu seiner
Zeit waren die ersten zionistischen Terroristen am Werk.
Israel hört nicht zu
Zweitausend Jahre lang haben wir die Lektion des Humanismus
einstudiert, aber Israel hört nicht zu. Es war nicht der Pharisäer,
der dem Mann half, der, den Räubern zum Opfer gefallen, am Wegesrand
lag. Es war der Samariter; heute würden wir sagen, ein
Palästinenser. Denn zuallererst sind wir Menschen – dann erst
Christen, Moslems, oder Juden. Oder, wie der jüdische Rabbi sagte:
„Und wenn du nur deine Brüder grüsst, was tust du mehr als andere?“
Wir akzeptieren nicht die Entführung von Soldaten. Aber ebenso
akzeptieren wir nicht die Deportation ganzer Bevölkerungen oder
Entführung legal gewählter Parlamentarier und Minister.
Wir anerkennen den Staat Israel von 1948, aber nicht den von 1967.
Es ist der Staat Israel, der den dem internationalem Recht
entsprechenden Staat Israel von 1948 nicht anerkennt, respektiert
und sich auf ihn bezieht. Israel will mehr; mehr Wasser und mehr
Dörfer. Um das zu erreichen gibt es jene, die, mit Gottes Hilfe,
eine Endlösung des palästinensischen Problems wollen. Die
Palästinenser haben so viele andere Länder, haben bestimmte
israelische Politiker argumentiert; wir haben nur eines.
Die USA oder die Welt?
Oder wie der oberste Beschützer des Staates Israel sagt: „May God
continue to bless America.“ Ein kleines Kind bemerkte das. Sie
drehte sich zu ihrer Mutter um und sagte: „Warum hört der Präsident
seine Reden immer mit ‘God bless America’ auf? Warum sagt er nicht
‘God bless the world’?“
Dann gab es einen norwegischen Poeten, der diesen kindlichen Seufzer
aus seinem Herzen entliess: „Warum nur schreitet die Menschlichkeit
so langsam voran?“ Es war er, der so wundervoll über den Juden und
die Jüdin schrieb. Aber er lehnte die Idee von Gottes auserwähltem
Volk ab. Er selbst zog es vor, sich einen Mohammedaner zu nennen.
Gelassenheit und Gnade
Wir anerkennen nicht den Staat Israel. Nicht heute, nicht im Moment,
da wir dieses schreiben, nicht in der Stunde von Trauer und Zorn.
Wenn die gesamte israelische Nation ihrem eigenen Handeln erliegen
sollte und Teile der Bevölkerung aus den besetzten Gebieten in eine
neue Diaspora fliehen müssen, dann sagen wir: Mögen die Umgebenden
gelassen bleiben und ihnen Gnade erweisen. Es ist ein ewiges
Verbrechen ohne mildernde Umstände, die Hand an Flüchtlinge und
staatenlose Völker zu legen.
Frieden und freies Geleit für die ausziehende Zivilbevölkerung, die
nicht länger von einem Staat geschützt wird. Feuert nicht auf die
Flüchtlinge! Zielt nicht auf sie! Sie sind verwundbar wir Schnecken
ohne Haus, verwundbar wie langsame Karavanen palästinensischer und
libanesischer Flüchtlinge, schutzlos wie Frauen und Kinder und Alte
in Kana, Gaza, Sabra und Shatilla. Gebt den israelischen
Flüchtlingen Obdach, gebt ihnen Milch und Honig!
Lasst nicht ein israelisches Kind mit seinem Leben büssen. Viel zu
viele Kinder und Zivilisten wurden schon ermordet.
http://kulturtechnik.twoday.net/stories/2507599/
"Trotz der endlosen
Verhaftungen, Geständnisse und Hinrichtungen konnte man nie sicher
sein, dass »Die Brüderschaft« nicht lediglich eine sagenhafte
Erfindung war."
"1984", George Orwell
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