Ausnahmeregeln für Israel
http://www.jungewelt.de/2008/07-09/019.php
09.07.2008
Das »Europäische Beobachtungszentrum von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit« hat im Januar 2005 eine Definition für Antisemitismus
abgegeben. Nun könnte das unausgereifte Papier zum Massstab praktischer
Politik gemacht werden ...... Von Knut Mellenthin
(Abbildungen im Originalartikel nicht enthalten)
kill.goim
Wiederbetätigung II
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28,5 cm x 19
cm Toner, Tinte, Wasser, Siegellack auf Papier | Skizze zu Krisen
Tourismus 1424 (2004) |
Der Spiegel-Journalist Henryk M. Broder hat das erstaunliche
Talent, scheinbar bekannten Begriffen einen völlig neuen Inhalt zu geben. Am
23. Juni tauchte er in einer Sendung von Report München auf und erzählte:
»Dann gibt es die zweite Holocaust-Leugnung. Das sind Leute, die behaupten,
dass Ahmadinedschads Politik für Israel keine Gefahr darstellt. Das heisst,
die einigen wenigen leugnen den Holocaust, der passiert ist, und die
nächsten bestreiten, dass es im Nahen Osten demnächst einen Holocaust geben
könnte. Nach meinem Dafürhalten sind die zweiten viel gefährlicher. Das sind
die Antisemiten des 21. Jahrhunderts.«
An dieser Konstruktion stimmt rein gar nichts. Im einen Fall
geht es um einen historischen Sachverhalt, im anderen jedoch um
unterschiedliche Vermutungen über die Zukunft. Broder versucht ganz
schlicht, Menschen zu stigmatisieren und auszugrenzen, weil sie seine
Vermutungen nicht teilen. Sachliche Argumente vermag er für seine Annahmen
nicht vorzutragen, aber das hält er offenbar auch für überflüssig. Der
einschüchternde Effekt der Worte »Antisemiten« und »Holocaust-Leugner« soll
Widerspruch zum Verstummen bringen oder – wenn das nicht gelingt – die
Widersprechenden moralisch diskreditieren. Und zwar gründlich, bis zur
Zerstörung der beruflichen und sozialen Existenz. Wie mit Menschen zu
verfahren ist, die er zu Antisemiten erklärt, hat Broder am 16. Juni im
Innenausschuss des Bundestages dargelegt: »Man muss sie ausgrenzen, sie in
eine Art sozialer Quarantäne isolieren.«
Bundestagssachverständiger Broder
Broder war einer der zehn sogenannten Sachverständigen, die
zur Anhörung über das Thema »Antisemitismus« in Deutschland eingeladen
worden waren. Was den Journalisten als Sachverständigen qualifiziert, war
vom Innenausschuss nicht zu erfahren. Der Bundestagsabgeordnete Gert
weiss
kirchen (SPD), Europabeauftragter für die Bekämpfung des
Antisemitismus, schrieb dem Autor dieses Artikels auf eine entsprechende
Anfrage launig, aber inhaltlich nicht wirklich überzeugend: »Auf Ihre Mail
vom 25. Juni kann ich Ihnen nur antworten, dass Sie Herrn Broder doch am
besten selbst fragen, was ihn als Antisemitismus-›Sachverständigen‹
qualifiziert.« Andere Angeschriebene reagierten gar nicht. Auf Umwegen war
schliess
lich zu erfahren, Broder sei auf Wunsch der
CDU-Bundestagsabgeordneten Kristina Köhler eingeladen worden, die sich im
September 2005 durch ihr Eintreten für den »Islamkritiker« Hans-Peter
Raddatz hervorgetan hatte und vor kurzem den CDU-Arbeitskreis »Extremismus
und Islamismus« konstituiert hat.
Broders Einladung stellt eine Provokation dar, denn der
Journalist ist einer der führenden moslemfeindlichen Polemiker in diesem
Land. Er lässt dabei kaum ein Klischee aus und nimmt es mit der Wahrheit
nicht immer ganz genau. Im Zentrum seiner Agitation steht das Schüren von
Angst vor der »Islamisierung« Europas und vor den »1,5 Milliarden Moslems in
aller Welt, die chronisch zum Beleidigtsein und unvorhersehbaren Reaktionen
neigen«, wie Broder in seinem Buch »Hurra, wir kapitulieren!« schreibt.
Seine Teilnahme an dieser Anhörung setzt, vielleicht unbeabsichtigt, ein
fatales Signal: dass der deutsche Bundestag die Verunglimpfung von Menschen,
Gruppen, Staaten und Religionsgemeinschaften nicht grundsätzlich und
gleichermassen ablehnt, sondern sie sehr unterschiedlich beurteilt – je
nachdem, gegen wen sie sich richtet. Das ist geeignet, insbesondere bei
jungen Moslems das Missverständnis zu fördern, die Bekämpfung des
Antisemitismus gehe auf ihre Kosten, und Widerwillen dagegen zu produzieren.
In seinem Vortrag vor dem Innenausschuss machte Broder
deutlich, dass ihn der Antisemitismus im Wortsinn, also die Diskriminierung
und Verächtlichmachung von Juden aufgrund einer ihnen unterstellten
Gruppenzugehörigkeit, nicht wirklich interessiert. Dieser stamme »aus der
Asservatenkammer des letzten und vorletzten Jahrhunderts«. Ihn, den »guten
alten Antisemitismus à la Horst Mahler«, möge man getrost »den Archäologen,
den Antiquaren und den Historikern« überlassen. Statt dessen sollten sich
die Parlamentarier »um den modernen Antisemitismus im Kostüm des
Antizionismus und um dessen Repräsentanten, die es auch in Ihren Reihen
gibt«, kümmern. Der »moderne Antisemit« phantasiere über die Israel-Lobby
(von Broder in Anführungszeichen gesetzt, als gäbe es sie gar nicht), »die
Amerikas Politik bestimmt«. »Oder er dreht kausale Zusammenhänge um und
behauptet, die atomare Bedrohung gehe nicht vom Iran, sondern von Israel
aus.« Angesichts der Tatsache, dass Iran keine einzige Atomwaffe hat,
hingegen Israel nach Schätzungen zwischen 150 und 200, ist die von Broder
als »antisemitisch« stigmatisierte Auffassung allerdings schlichtweg
realistisch.
An anderer Stelle seines Vortrags warf Broder den »modernen
Antisemiten« vor, sie beteiligten sich »leidenschaftlich an Debatten über
eine Lösung der Palästina-Frage, die für Israel eine Endlösung bedeuten
könnte«. Wie ist das zu verstehen? Als nicht abschliess
end ausformulierten
Hinweis, dass Broder im Grunde gegen den Rückzug Israels aus den besetzten
Gebieten und gegen die Gründung eines palästinensischen Staates ist? Auch
wer gegen eine wirtschaftliche Isolierung Irans ist, bekam in Broders
Ansprache an den Innenausschuss das Etikett »Antisemit« umgehängt. Die
zugrunde liegende Logik ist von sektenhafter Schlichtheit: Alles, was nach
Broders Ansicht Israel schaden könnte, gefährdet seine Existenz. Also ist
jeder, der Auffassungen vertritt, die Israel schaden könnten, auf dessen
Vernichtung aus, auch wenn er sich noch so geschickt tarnt. Gegen die
Unterstellung böser, ja sogar exterminatorischer Absichten ist keine
Gegenwehr möglich. Kaum einer von denjenigen, die Broder als »moderne
Antisemiten« angreift, ist beispielsweise gegen das Existenzrecht Israels.
Tut nichts zur Sache, doziert Broder, das zeigt nur, wie geschickt die
Antisemiten ihre wirklichen Gedanken und Ziele verbergen.
Offenbar besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen der
Schärfe, mit der Broder »Antisemiten« zu stigmatisieren versucht, und der
Schwierigkeit, diesen Begriff halbwegs politikfähig zu definieren. Beim
»guten alten Antisemitismus« waren und sind die Verhältnisse einfach und
eindeutig, zumal dessen Vertreter sich kaum einen Zwang zum Verbergen ihrer
Ansichten auferlegen. Mit dem »modernen Antisemitismus« ist es hingegen
anders. Vielfach handelt es sich um Dinge, über die man mit Grund,
legitimerweise und ohne Schaden unterschiedlicher Meinung sein kann.
Zu recht stellte Broder vor dem Innenausschuss fest: »Jede
Diskussion über den Antisemitismus fängt mit einer Begriffsbestimmung an«
und weiter: »Wenn Sie dem Antisemitismus beikommen wollen, müssen Sie
einsehen, dass er keine fixe Grösse ist, wie der Urmeter in Paris oder die
Definition für Volt, Watt und Ampere.« – Für Broder ergibt sich daraus aber
lediglich, dass er seinen eigenen Massstab definiert. Das ist, angesichts der
Unmöglichkeit einer allgemein akzeptierten Definition, durchaus ein
legitimes Verfahren. Nur sollte man im Blick behalten, dass es sich dabei um
subjektive Ansichten handelt, die sich im gesellschaftspolitischen Diskurs
mit anderen messen müssen.
EU-Arbeitspapier wird Massstab
»Aufklärung«: In Teilen der Bevölkerung gilt die iranische
Regie »Aufklärung«: In Teilen der Bevölkerung gilt die iranische Regierung
als Vorbereiter eines »zweiten Holocaust« (Besuch des iranischen Präsidenten
Ahmadinedschad in Leipzig, 21.6.2006) Foto: AP Die Europäische Union hat
dennoch vor einigen Jahren den Versuch unternommen, verbindlich zu regeln,
was unter Antisemitismus verstanden werden soll. Herausgekommen ist dabei
ein Papier mit dem Titel »A Working Definition of Anti-Semitism«, das im
Januar 2005 vom EUMC (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia)
abgesegnet wurde. Auffällig ist zunächst, dass die EU bisher offenbar nicht
in gleicher Weise das Bedürfnis verspürte, auch Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit zu definieren, obwohl diese in den meisten europäischen
Ländern stärker und folgenreicher verbreitet sind als der Antisemitismus.
Ein wesentlicher Grund für diesen Unterschied dürfte darin liegen, dass die
Opfer von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit noch nicht einmal ansatzweise
über ein Netzwerk verfügen, das Druck auf die EU-Gremien ausüben könnte.
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Abbildung:
Koffer |
ca.
60 cm x 100 cm x 60 cm | alter Koffer / IUPA / Crisen
Tourismus 1401
(1890 - 1981) |
Die Existenz der »Working Definition of Anti-Semitism«
dürfte nur relativ wenigen Menschen in Europa bekannt sein. Noch weiter
dürfte die Unkenntnis über ihren Inhalt verbreitet sein. Es bedurfte
externen Drucks, um das EUMC zu veranlassen, das noch nicht ausdiskutierte
und ausgereifte Papier widerwillig zu veröffentlichen. Die Entstehung der
»Arbeitsdefinition« ist durch weitgehenden Mangel an demokratischer
Teilnahme und Transparenz gekennzeichnet. Prozionistische Interessengruppen,
insbesondere das American Jewish Committee, aber auch obskure, nicht im
geringsten repräsentative Gruppen wie »honestly concerned« und das Blatt Die
Jüdische, haben dabei eine ungleich gröss
ere Rolle gespielt als die
politischen Parteien. Eine kontroverse Diskussion in der Öffentlichkeit fand
trotz der dem Thema beigemessenen herausragenden Bedeutung nicht statt.
Gegenpositionen, auch von jüdischer und israelischer Seite, fanden kaum
Gehör und wurden, wie Alfred Grosser bei einem »öffentlichen
Expertengespräch« im November 2004, als »Antisemiten« niedergemacht. Die
offensichtliche Tatsache, dass es bei der zentralen Frage, wie weit und in
welcher Form Kritik an der israelischen Politik »zulässig« ist, nicht
zuletzt auch um handfeste Interessen geht, wurde gar nicht oder jedenfalls
nur unzureichend reflektiert.
Herausgekommen ist ein Dokument von sehr geringer
Publizität, Autorität und Wirkungskraft. Seit einiger Zeit gibt es jedoch
einen Trend, die »Working Definition« zum Instrument praktischer Politik zu
machen, indem sie benutzt wird, um Einzelpersonen, die angeblich die Grenzen
der zulässigen Kritik an Israel überschritten haben, beweiskräftig zu
»überführen«. Zwischen den Beteiligten der Anhörung im Innenausschuss am 16.
Juni bestand Konsens, von der Bundesregierung einen jährlichen
Antisemitismusbericht zu fordern. In diesem Zusammenhang soll ein
»Expertengremium« eingerichtet und wohl auch ein
»Antisemitismusbeauftragter« eingesetzt werden. Es ist zu befürchten, dass
auch dabei wieder einseitig bestimmte Interessengruppen dominieren werden,
die das Mass der »zulässigen« Kritik an Israel sehr restriktiv auslegen.
So weit es um eindeutig definierte antisemitische Handlungen
im Wortsinn geht, besteht an einem besonderen Antisemitismusbericht
eigentlich kein Bedarf. Den Teilnehmern der Anhörung lag seitens des
Bundeskriminalamts ein Bericht über die »Straftatenentwicklung politisch
motivierte Kriminalität – rechts, Antisemitismus« vor. Diesen könnte man
selbstverständlich erweitern und intensivieren, ebenso wie die einschlägigen
Teile der Verfassungsschutzberichte. Bei der Forderung nach einem
Jahresbericht der Bundesregierung geht es aber in erster Linie um die
politisch-ideologischen Grauzonen des Themas, über deren exakte
Interpretation man mit Gründen und Argumenten unterschiedlicher Meinung sein
kann.
Ein Beispiel, um zu zeigen, was gemeint ist: Bei einem »OSZE-Expertenforum
zur Bekämpfung des Antisemitismus« am 25. Januar in Berlin griff Yves
Pallade, Direktor des »Netzwerks für Auswärtige Angelegenheiten der B'nai
B'rith in Europa« wegen ihrer Äusserungen zu Israel vier Personen namentlich
als Antisemiten an: Ludwig Watzal (ein Angestellter der Bundeszentrale für
Politische Bildung), Norman Paech (Bundestagsabgeordneter der Partei Die
Linke), Klaus Holz (Professor für Soziologie) und Alfred Grosser. Keiner der
vier hat das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Ihre Positionen sind
im Diskurs grundsätzlich nicht weniger legitim als die derjenigen, die
Israel trotz seiner Besatzungspolitik und der Ungleichbehandlung seiner
Bürger für einen demokratischen Staat halten.
Dem geforderten Jahresbericht der Bundesregierung auf
Grundlage der europäischen »Working Definition of Anti-Semitism« käme eine
starke normierende Funktion zu, da er sich selbstverständlich auch und
gerade mit den Grauzonen des Themas beschäftigen müsste. Damit würde
tatsächlich mit einem hohen Grad an Verbindlichkeit die gesamte Diskussion
um die israelische Politik reguliert und eingegrenzt.
Kritik an Definition
Was wird in der »Working Definition« zu den
Erscheinungsformen des Antisemitismus gerechnet? Einige Beispiele: »Juden
als Volk für wirkliche oder eingebildete Untaten einzelner Juden oder einer
Gruppe oder sogar für von Nicht-Juden begangene Handlungen verantwortlich zu
machen.« »Juden kollektiv für die Handlungen des Staates Israel
verantwortlich machen.« – Das ist zweifellos eine berechtigte Definition.
Die Entscheidung, ob so eine Verallgemeinerung vorliegt, wird in der Regel
eindeutig zu treffen sein.
»Anwendung von doppelten Standards (unterschiedlichen
Massstäben), indem von Israel ein Verhalten gefordert wird, das von keiner
anderen demokratischen Nation erwartet oder verlangt wird.« – Auch dieser
Aspekt ist grundsätzlich berechtigt. Tatsache ist allerdings, dass »doppelte
Standards« in der Regel nicht gegen, sondern zugunsten Israels geltend
gemacht werden. So etwa die faktische internationale Duldung der Besetzung
fremden Territoriums – ein Verhalten, für das andere Staaten längst
Sanktionen, wenn nicht sogar militärische Massnahmen auf sich gezogen hätten.
»Vergleiche der gegenwärtigen israelischen Politik zu der
der Nazis ziehen.« – Das geschieht allerdings auch durch jüdische und
israelische Kritiker recht häufig. Nicht unbedingt, weil es in jedem
Einzelfall plausibel oder wenigstens diskutabel ist, sondern als eine
besonders scharfe Form der Verurteilung. Zweifellos sind solche Vergleiche
auch eine beliebte Form, antisemitische Ressentiments auszudrücken. Aber
sind sie deshalb in jedem konkreten Einzelfall antisemitisch? Genau gelesen
sagt die »Working Definition« der EU das gar nicht aus, sondern sie zählt
nur »Beispiele für Wege auf, auf denen sich Antisemitismus manifestiert«.
Interpretiert man die Definition aber so, wie das überwiegend geschieht,
wäre Israel weltweit der einzige Staat, der mehr oder weniger verbindlich
vor solchen Vergleichen geschützt werden soll. Denn Politiker und Staaten
mit den Nazis nicht nur zu vergleichen, sondern gleichzusetzen, ist ein
übliches und anscheinend allgemein akzeptiertes Verfahren. Gerade
israelische und pro-israelische Politiker und Publizisten verwenden solche
Vergleiche besonders häufig, derzeit vor allem gegenüber dem Iran. Die
EU-Definition konstituiert also einen einzigartigen »doppelten Standard«,
wenn nicht sogar ein Begriffsmonopol zugunsten Israels.
»Jüdischen Bürgern vorzuwerfen, sie seien gegenüber Israel
oder den unterstellten Prioritäten der Juden weltweit loyaler als gegenüber
den Interessen ihrer eigenen Nation.« – Es geht dabei offensichtlich nicht
Daarum, ob dies als »Anklage« erhoben wird, sondern um die
Tatsachenbehauptung als solche. Plausibel wäre das aber nur, wenn damit eine
Verallgemeinerung gemeint wäre, also eine generelle Zuschreibung an alle
Juden und jeden einzelnen oder zumindest an die Mehrheit der Juden. Die
Formulierung der EU-Definition, »Accusing Jewish Citizens...«, lässt die
Deutung offen, ob nur in der Tat unzulässige Verallgemeinerungen gemeint
sind oder auch konkrete Tatsachenbehauptungen in bezug auf einzelne Juden.
Von interessierter Seite wird es aber häufig genau in diesem
Sinn interpretiert: Als sei es unzulässig, auch nur von einem einzigen Juden
anzunehmen, er fühle sich Israel mehr verbunden und verpflichtet als seinem
Heimatland. Ein Beispiel: Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat es
gelegentlich Widersprüche zwischen den Regierungen der USA und Israels
gegeben. In keinem einzigen Fall haben die gross
en jüdischen Verbände der USA
sich auf die Seite ihrer, also der US-amerikanischen Regierung gestellt. Ist
es wirklich unzulässig und per se antisemitisch, dies als Indikator für die
Loyalität nicht etwa der Juden der USA schlechthin, aber doch der
Verbandsspitzen zu nehmen? Einige in der »Bekämpfung des Antisemitismus«
besonders engagierte Gruppen und Personen gehen sogar so weit, die blosse
Erwähnung der US-amerikanischen Israel-Lobby als antisemitisch anzugreifen,
obwohl diese selbst sich offiziell so bezeichnet und bei der Beschreibung
ihres Einflusses und ihrer Erfolge keine Zurückhaltung übt. Hier gelangen
wir in die Zone der Irrealität, und erstaunlich ist nur der gross
e Einfluss,
der solchen Gruppen und Personen im Antisemitismus-Diskurs eingeräumt wird.
Politischer Irrweg
Selbstverständlich können jeder Kritik am Staat Israel, am
Zionismus – auch dieser ist nicht etwa eine antisemitische Einbildung,
sondern eine politische Realität –, an jüdischen Organisationen und
einzelnen Juden antisemitische Ressentiments zugrunde liegen. Das sagt über
die sachliche Berechtigung der Kritik in jedem Einzelfall nicht unbedingt
etwas aus. Andererseits muss eine überzogene, unfaire Kritik an Israel nicht
automatisch auf Antisemitismus hindeuten. Dass Staaten voreingenommen, unfair
oder aufgrund unzureichender Kenntnisse beurteilt werden, ist leider ganz
normal. Man denke nur an den Unsinn, bis hin zu Fälschungen, der im
Zusammenhang mit dem Tibet-Konflikt über China verbreitet wird. Oder an die
Unterstellung, Iran bereite gegen Israel einen »zweiten Holocaust« vor,
obwohl Angriffsdrohungen einseitig ausschliess
lich von israelischen
Politikern ausgesprochen wurden und werden.
Letztlich stellt der Vorstoss der EU, für das Verhalten
gegenüber einem einzigen Land Ausnahmeregeln aufzustellen, die nicht
gleichermassen im Umgang mit allen anderen Ländern gelten, einen politischen
Irrweg und wohl auch im rechtlichen Sinn ein Monstrum dar. Ähnliches gilt
für die Herauslösung des Antisemitismus aus dem Gesamtzusammenhang von
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Wenn zudem die »Bekämpfung des
Antisemitismus« und die Verbreitung von Ressentiments gegen die Moslems im
eigenen Land und weltweit eine Symbiose eingehen, wird die Sache fatal.
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