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Anmerkungen zu den Körperschaftsrechten aus Islamischer Sicht

Von Dr. Ayyub A. Köhler

 

 

Die strukturelle Assimilation des Islams in Deutschland

 

Zur Diskussion gestellt: Körperschaftsrechte und Islam in Deutschland[1]Von Dr. Ayyub A. Köhler / Deutschland

Es scheinen sich unter den Muslimen wieder Erscheinungen des Aberglaubens zu verbreiten. Eine Form von Aberglaube ist das Wunder, das sich die Muslime mit der Errichtung eines Islamischen Staats für sich versprechen. Der andere Aberglaube, der sich insbesondere unter den Muslimen in Deutschland verbreitet ist und von dem hier die Rede sein wird, ist das Wunder durch Körperschaftsrechte.

 

Unter den Muslimen in Deutschland gibt es nämlich nicht wenige, die das Heil ihrer Gemeinschaft in der Anerkennung Islamischer Verbände oder Gruppierungen als Körperschaft des öffentlichen Rechts sehen. Unterdessen versuchen schon einige Islamische Vereine die Voraussetzung dafür zu schaffen, indem sie versuchen, die Islamische Religion mit einer ihr wesensfremden Kirchenstruktur[2] zu verändern. Da gibt es u. a. schon der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) nachempfundene phantasievolle Amtsbezeichnungen und vorweggenommenes amtliches Gebaren. In einer der gross en Dachorganisationen „einigte man sich auf ein sehr interessantes Modell, nämlich das Modell der Reformierten Kirche“[3]. Die Kirchenstruktur gilt in der Praxis nämlich unausgesprochen und traditionell und nur in Deutschland als die Grundstruktur einer Islamischen Religionsgemeinschaft als sog. Körperschaft des öffentlichen Rechts, mit klaren Organisationsstrukturen, mit Verfahren der Willensbildung, mit Organen und nicht zuletzt Instanzen, die authentisch und verbindlich über Lehre und Ordnung zu entscheiden haben. 

 

 

 

Eine mächtige aber unzuverlässige Symbiose

 

Die Praxis des Umgangs des deutschen Staates mit den Islamischen Körperschaften wird immer von einer Kirchenstruktur ausgehen („Die normative Kraft des Faktischen“). Der erste Schritt in die Säkularisierung und strukturelle Assimilation des Islam ist damit getan. Der Lohn dafür sind materielle Vorteile für die Verbände und ihre Funktionäre, wie das Recht, Steuern zu erheben (Art. 137 Abs. 6 WV/GG) bzw. die Zakat vom Staat einziehen zu lassen, Vergünstigungen im Steuerrecht und bei den nicht unerheblichen Gebühren beim Immobiliengeschäft zu profitieren, mit staatlichen Förderungen zu rechnen, ihren Mitarbeitern den begehrten Status von Amtsträgern[4] (als „Islamischer Beamter“) zu verleihen und Partizipationsrechte zu geniessen (z.B. bei der Bauleitplanung, wo ein Moscheebau vorgesehen ist) und leichter an Subventionen heranzukommen. 

 

Wie steht es mit dem ideellen Nutzen? Angeblich sollen die Körperschaftsrechte dem Islam und den Muslimen zur Anerkennung, Respekt, Gerechtigkeit und Achtung in der deutschen Gesellschaft verhelfen. 

Ganz abgesehen von dem theologischen Irrwitz dieses Vorhabens - auch mit der Vorlage einer amtlichen Bescheinigung werden die Muslime nicht mehr respektiert als sie es jetzt schon sind. Für Respekt und Achtung muss jeder Mensch und auch jede Religionsgemeinschaft selbst sorgen. Eine Bescheinigung schafft das nicht. Was hat aber die Mehrzahl - also nicht alle - der Islamischen  Funktionäre in den vergangenen dreissig Jahren in Deutschland getan, um dem Islam und den Muslimen Achtung und Respekt zu verschaffen? 

Der Staat wiederum meint, er verschaffe sich auf diese Weise ihm zugeordnete Gegenüber als Ansprechpartner, bei denen sie ggf. auch verbindliche „amtliche“ Entscheidungen über Glaubensfragen einholen können und müssen. Das wird er tun, weil er als Staat ja aus Neutralitätsgründen nicht über die Glaubensinhalte der Religionsgemeinschaften bestimmen kann. Schlimmstenfalls wird er es mit einer nicht durch Konsens bzw. demokratische Willensbildung aber durch die Körperschaftsrechte verfestigten Funktionärskaste bzw. autokratisch regierenden Funktionärsoligarchie zu tun haben, von der sich mehr und mehr Muslime distanzieren müssen. Und der Staat schafft sich neue Probleme, indem er einer orientalischen politischen Kultur in dieser Weise in Europa der Weg ebnet.

 

Die Spaltung der Muslime

 

Angesichts dieser Verhältnisse wird die Umma nun auch gespalten einmal in solche Gemeinschaften, deren körperschaftliche Amtsträger eng mit dem Staat zusammenarbeiten und zum anderen in jene Muslime, die aus guten Gründen dieser strukturellen Assimilation skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen und/oder sich durch eine Funktionärskaste nicht mehr vertreten sehen. Und es ist abzusehen, dass letztere von den ersteren  bald als „Ultra-Orthodoxe“ oder Fundamentalisten abgestempelt oder denunziert werden, und dass diejenigen Muslime, die die körperschaftliche Verfassung ablehnen, wiederum den anderen Missbrauch des Islam für egoistische (und auch persönliche) materielle und machtpolitische Ziele und Zwecke sowie Reform und Säkularisierung des Islam vorwerfen. Der Graben kann also tiefer nicht sein, der durch die Körperschaftsrechte aufgerissen wird. Der Saat schafft sich (und auch den Muslimen) mit den Körperschaftsrechten nur neue Probleme.

Es kommt noch hinzu, dass durch den Alleingang einzelner Islamischer Verbände die mühsam hergestellte und bestehende Einheit der Muslime in wenigstens zwei Islamischen Dachverbänden (Zentralrat der Muslime in Deutschland, ZMD, und Islamrat und mit Einschränkung die staatlich-türkische DITIB) wegen faktischer Bedeutungslosigkeit aufgelöst wird – es sei denn, dass sich alle Muslime bestehenden, verfestigten, autokratisch regierenden Funktionärsoligarchien unterwerfen. Diese Möglichkeit ist insofern nicht auszuschliess en, als unter den Muslimen das Bewusstsein für Eigenverantwortung und Islamische Selbstbestimmung verkümmert ist und sie in starken Organisationsstrukturen (oder gar in einem Islamischen Staat) ihr Heil und vermeintlich auch ihre Würde suchen.

In dieser Hörigkeit wird dann die sich herausbildende europäische Umma auch in die geistige Lethargie orientalischer Herrschaftsformen versinken, denn selbst konstruktive Kritik an den Massnahmen, den Finanzen und den Umgangsformen der Funktionäre gilt als Verrat am Islam – so jedenfalls predigen es die Funktionäre schon seit Generationen und haben sich damit unangreifbar gemacht, und wegen ihrer oft mit dem Verband verquickten Vermögensverhältnisse sind sie auch nicht mehr absetzbar. Auf eine Belebung des Islam und der Umma und einen originären Beitrag des Islam in Europa kann unter diesen Umständen keine Hoffnung mehr gesetzt werden.

 

 

Den Islam als lebendige Religion erhalten 

 

Nur eine Religion ohne Machtstrukturen bleibt lebendige Religion: Jeder Gläubige ist aufgerufen, selbst über seine Religion nachzudenken und nach dem besten Handeln zu streben (Selbstverantwortung des Muslims vor Gott). Der Fortschritt, den der Islam den Menschen gebracht hat, ist die Befreiung des Menschen von Entmündigung. Die Islamisch-kirchlichen Machtstrukturen bedeuten dann entweder für den Islam und die Muslime Entfremdung, Polarisierung und Ausgrenzung und schaffen keine Überzeugungen oder nur fanatisierte Mitläufer oder Schafe. Das Schöpferische, das unserer Religion im Menschen weckt, wird verhindert. Der Fortschritt, den der Islam der Menschheit gebracht hat, wird durch entmündigende und kaum mehr zu beseitigende Machtstrukturen wieder zunichte gemacht. 

 

 

Macht und Verantwortung vor Gott und der Umma – die Kontrolle der Macht

 

Körperschaftsrechte nützen dann auch den Funktionären, die trotz ihres zweifelhaften Rufes zur Macht gekommen sind. Der Islam wird ihnen so zum Mittel, unangreifbar und ohne moralische und/oder politische bzw. fachliche Befähigung Macht auszuüben. In den meisten Gruppierungen ist dieses Thema der Kontrolle eines Vereins durch die Gemeinschaft von den Funktionären tabuisiert. Und bis jetzt haben sie sich ja auch auf den blinden Gehorsam verlassen können. 

Wie soll nun die absolutistische Macht solcher Funktionäre kontrolliert werden? Wird weiterhin autoritär geführt oder demokratisch oder wie anders? Können diese Islamischen Amtsträger, die mit allen Mitteln ihre staatliche Anerkennung anstreben, daran gewöhnt werden, dass sie nicht nur von Gott sondern auch von ihren Mitgliedern zur Rechenschaft gezogen werden können? Der Staat wird sich also überlegen müssen, wen er sich ins Haus holt. 

 

 

 Ausblick und Alternativen

 

Die Muslime würden sich allerdings mit ihren Körperschaftsrechten nicht in Sicherheit wiegen können. Bezugnehmend auf den ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Dr. Joachim Rottmann[5] muss vor neuen und spitzfindigen Argumenten gewarnt werden, die die Erlangung der Körperschaftsrechte und die praktische Durchsetzung für die Muslime wiederum erschweren werden: Durch die Inkorporierung der Kirchenrechtsartikel der Weimarer Verfassung (WV) in das Grundgesetz (GG) sind manigfache Probleme der Verfassungsauslegung heraufbeschworen worden, so dass auf Religion und Religionsgemeinschaften bezogene Vorschriften des GG, die aus dem Jahre 1919 stammen und heute 80 Jahre alt sind, in ihrer Tragweite auch heute noch als umstritten angesehen werden müssen. Auf jeden Fall wird aber die Aufsicht und die Kontrolle der Islamischen Körperschaften durch den Staat weitaus strenger sein als bei vereinsrechtlich organisierten Verbänden.

 Der Schaden durch Körperschaftsrechte für den Islam und die Muslime ist gröss er als ihr materieller Nutzen. Was die Muslimen in ihrer Geschichte immer am weitesten gebracht hat, sind die private Initiative unabhängiger Gelehrter und private Stiftungen. Mit den Körperschaftsrechten verlassen die Verbände endgültig ihren bisherigen Weg, den sie als Quasi-Bürgerinitiativen gemeinsam mit ihren Mitgliedern ziemlich erfolgreich beschritten haben. Sie heben ab und verselbständigen sich mit ihrem „Beamtenapparat“.

Muslime in aller Welt beklagen die Dominanz der Ordnungsprinzipien, des Rechts und der Regeln des „Westens“. Im Falle der Körperschaftsrechte und der Qualifizierung zum (möglichst alleinigen) Ansprechpartner für Staat und Verwaltung beschreiten Teile der muslimischen Gemeinschaft nun freiwillig und ohne Not und in erster Linie der materiellen Vorteile wegen den Weg der Körperschaftsrechte nach eben diesen Regeln. 

Weil aber der deutsche Staat den Religionsgemeinschaften keine Regeln aufzwingt, wäre es den Muslimen möglich, ihre Selbstbehauptung und Mitwirkung in Staat und Gesellschaft (Integration) auch einmal nach eigenen Regeln zu erlangen. 

Der Prozess der Selbstorganisation in den bestehenden gross en Dachverbänden sollte weiter verfolgt werden. Die Muslime müssen die Vereinsrechte besser ausschöpfen, und der deutsche Staat müsste sich in Bezug auf die Islamische Glaubensgemeinschaft bemühen, nicht auf ihren auf die christlichen Kirchen abgestimmten Strukturen und Institutionen zu beharren. So schafft bzw. behält man verlässliche und kalkulierbare Ansprechpartner. Den Islamischen Verfechtern der Körperschaftsrechte sei in Erinnerung gebracht, dass beispielsweise die Parteien, der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Gewerkschaften auch ohne Körperschaftsrechte die Anliegen ihres Klientels offensichtlich sehr wirksam vertreten.

 In einigen europäischen Ländern existieren schon mehr oder weniger ausgestaltete rechtliche Formen des Zusammenwirkens von Islamischen Organisationen mit dem Staat, die aber nicht ohne weiteres mit der deutschen Körperschaft zu vergleichen sind. Deshalb wäre es wünschenswert, ein unabhängiges Gutachten über die Formen der Anerkennung bzw. Kooperation der Muslime in den europäischen Staaten anfertigen zu lassen, in dem auch auf die hier vorgetragenen Argumente eingegangen wird und die praktischen Erfahrungen der verschiedenen Modelle dargestellt sind. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dürften aber die Körperschaftsrechte für Islamische Verbände, so wie sie in Deutschland konstruiert sind, etwas Exotisches sein. Sie würden sich in der EU als Rechtskonstrukt nicht durchsetzen. Droht dann auch eine europaweite Spaltung der Muslime? 

     Vorbild für das Verhältnis „Staat und Muslime in der EU“ könnte ein anderes europäisches Mitgliedsland sein: in Spanien hat der Staat mit der Dachorganisation der Muslime ein weitreichendes Kooperationsabkommen geschlossen. In Deutschland könnte der gleiche Weg beschritten werden. 

 

Wenn bestehende vereinsrechtlich organisierte grosse Islamische Dachorganisationen unter bestimmten Voraussetzungen als Ansprech- bzw. Kooperationspartner vom Staat akzeptiert würden, könnten die schwerwiegenden verfassungsmässigen Bedenken und Schwierigkeiten, die die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verzögern oder gar unmöglich machen, vermieden werden. Die Muslime würden sich den Hindernislauf über die Hürden, die Klimmzüge und Fallstricke ersparen. Sie brauchen sich nicht erst für den Staat zurechtbiegen zu lassen. Das Gros der Muslime verlangt nicht mehr, als dass sie nach ihren Glaubensüberzeugungen in Deutschland als ein Teil der pluralistischen Gesellschaft unbefangen leben und arbeiten können sowie bildungspolitisch den anderen Religionsgemeinschaften gleichgestellt bzw. gleichbehandelt werden – also ihre verfassungsmässigen Rechte und Pflichten gleichermassen wahrnehmen können. 

 



[1] Wesentlich erweiterte Argumentation des Beitrags von Ayyub Köhler, Zur Diskussion gestellt – Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: Der Morgenstern Nr.3 1997 und in HUDA, Febr. 1999; vergleiche auch: Ibrahim Cavdar, Rechtsformen Islamischer Dachorganisationen: Eingetragene Vereine oder Körperschaft des öffentlichen Rechts?, Vortrag bei der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 11.11.1998 in Köln..

[2] Bischoff Karl Lehmann warnte sogar davor, dem deutschen Staat-Kirche-Verhältnis Allgemeingültigkeit zuzuweisen. Dieses Verhältnis sei geschichtlich lange gewachsen; in verschiedenen Anläufen habe das Abendland im Mittelalter "jede unmittelbare theokratische Einheit von weltlicher Herrschaft und geistlicher Gewalt gesprengt und differenziert". Es frage sich deshalb, "ob das deutsche Staatskirchenrecht auf Religionen Anwendung finden kann, die diesen unumkehrbaren geschichtlichen Prozess nicht kennen". Die deutsche Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche lasse sich nicht-europäischen Religionen nicht einfach "überstülpen". (zitiert in: KNA – 3253 vom 9.3.98)

[3] bezogen auf den Islamrat:  Muhammed Salim Abdullah, Zwischen Anpassung und Widerspruch ‑ Islamische Gruppen in Deutschland, Referat auf der Tagung: Islam ‑ Iserlohn  vom 31.10. bis 1.11.1991.

[4] Art. 137 Abs. 3 S. 2 WV/GG

[5] Joachim Rottmann, Rechtliche Stellung von Religionsgemeinschaften im demokratisch verfassten pluralistischen Staat, Vortrag vor der Wolfgang Döring Stiftung in der Theodor Heuss Akademie in Gummersbach am 16.1.1994.

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