Jerusalem  1981 Krisentourismus

An der Jordanisch-Israelischen Grenze stellen wir unser Krisenfahrzeug ab. Wir bekommen keinen Israel-Stempel in den Reisepass, denn sonst könnten wir nicht wieder in den Libanon zurückfahren. Ein Bus bringt uns zuerst nach Tel Aviv. Beim Aussteigen am Busbahnhof ist einen Kiosk mit Pornographie gegenüber. Wir steigen in ein Taxi, das uns nach Jerusalem führt.


Der arabische Taxifahrer ladet uns (meine Frau und mich) ein, in seinem Haus in Jerusalem zu wohnen. Er sagt, er ist liberaler Muslim. Er versucht Israel auch positiv zu sehen. Er sagt dass die Taxis in Tel Aviv wegen der salzigen Meeresluft schnell verrosten, nicht aber in Jerusalem. Wir gehen zum Felsendom. Darin dichtes Gedränge um den Felsbrocken von dem aus Muhammad - der Friede und Segen Allahs seien auf ihm - seine Himmelsreise begann. Eine Frau sagt im Vorbeigedrängen "Jahud" (Jude), als ob sie mich vermutlich meiner kolonialen Tracht wegen entlarve, denn Juden dürfen hier nicht hinein. Der spirituelle Kern der Krise ist auch hier zu spüren, wenngleich ich ihn noch nicht wirklich verstehe. Wir beten in der nahe gelegnen Al-Aqsa-Moschee. Die Bedeutung der Gebäude kenne ich vorerst nur begrenzt. Wieder allein, wandre ich durch die Altstadt. Ein Graffiti, vermutlich auf einer Synagogenwand: "Zionismus und Judentum sind diametral entgegengesetzt". Das verstehe ich nicht; noch nicht. Es ist Hinweis zum Nachforschen. Nicht weit weg davon, in einer der berühmten alten Gassen, tönte aus einem der Hauseingänge ein englischsprachiger, sehr emotionaler Vortrag auf die Strasse. Ich gehe tiefer in den Eingang bis ich in einem Raum etwa 70 Zuhörer, vermutlich amerikanisch-jüdische Studenten antreffe. Diese hören einem Vortrag - wie ich später herausfand - von Rabbi Meir Kahane zu. Als Muslim bin ich nicht erkennbar. Ich setzte mich in die Reihen und höre zu. Erstaunt. Die Worte erinnern mich an Hitler: "Es ist sicherlich an der Zeit, dass die Juden, die über die enorme Zunahme der Araber in Israel besorgt sind, darüber nachdenken, den vor 35 Jahren begonnenen Bevölkerungsaustausch zu beenden." (Surely it is time for Jews, worried over the huge growth of Arabs in Israel, to consider finishing the exchange of populations that began 35 years ago.) Mit "Austausch" ist die Vertreibung und/oder Ermordung von Palästinensern mit Waffengewalt gemeint, wie aus weiteren Worten deutlich wird. Die Behörden behelligen diesen zionistischen Nazi offensichtlich nicht. Als Nachkriegsgeborener wurden mir ein falsches Narrative erzählt. Unterschwellig wurde ich als Zionist erzogen. Ich kannte die grauenvollen Bilder der Konzentrationslager. Meine Verwandtschaft ist wegen NS-Opposition und/oder Abstammung teilweise geflüchtet, ermordet worden. Nach diesem Vortrag kann ich meine neutrale Einstellung gegenüber Israel, die ich ursprünglich als Teil der Kulisse meines Krisentourismus einnahm, moralisch nicht mehr aufrechterhalten. Mit meinen geringen Kenntnissen kann ich den Unterschied zwischen Juden und Zionisten nicht verstehen. Forschung  notwendig, Sicher ist aber, dass zionistische Juden nicht in ein unbewohntes Land - dass sie begrünt haben - gekommen sind, so wie mir als als Kind vermittelt wurde. In der Nachkriegszeit hatten Österreicher wegen eigner Sorgen kaum Zeit oder Möglichkeiten, sich mit der Geschichte Palästinas zu befassen. Es bestand auch ein Verdrängungszustand wegen der eigenen Nazigeschichte, da fast alle Nazis am Leben waren. In Jerusalem wird mir nun klar, dass ich die Geschichte Palästinas nur verzehrt kannte. Ich erinnere mich, kurzfristig den Gedanken gehabt zu haben, mich in einem Kibbutz zu engagieren, und war damit nicht allein. Vor Abreise in die Krise bekomme ich die Adresse von einem Suufi in Jerusalem, der am Ölberg lebt. Ein Bus nimmt mich mit. Ich komme ins Gespräch; erkläre meinen Krisentourismus. Alle Insassen fahren zu einem Kibbutz. Bereits am Ölberg, sage dass ich Muslim bin und werde aus dem Bus gestoßen. Langsam beginne ich zu begreifen, dass Zionisten eine rassistische Sekte des Judentums sind, welche sich mit jüdischen Brauchtum verschleiert und den Holocaust zur Rechtfertigung für die Verbrechen an der palästinensische Bevölkerung in den Medien geschickt vermarktet. Amerika ist Hauptsponsor des zionistischen Kolonialismus. Ich weiß noch nicht, dass Zionisten die Goj ("Nichtjuden") als menschliche Nutztiere betrachten, die man jederzeit töten kann, denn sie könnten ja gefährlich werden sofern sie es nicht schon sind. Menschen im "Westen" - so wie ich - haben die Lügen vom "Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" und "Juden kommen in ihr Heimatland zurück" usf. erzählt bekommen und auch geglaubt. Wahr ist hingegen, dass vor der Kolonialisierung Palästinas, Juden, Muslime und Christen in Frieden miteinander lebten. Religionen sind keine Staaten. In einem kleinem Haus am Ölberg, umgeben von Weingärten finde ich den Suufi. Ich weiß nicht genau was ein Suafi ist. Wir trinken Tee. Er lebt - wie alle Muslime in Israel - in ständiger Gefahr verhaftet zu werden.