Bin-Laden-Video:
Falschübersetzung als Beweismittel?
Bericht:
Georg
Restle, Ekkehard Sieker
| MONITOR
Nr. 485 am 20.12.2001
http://www.wdr.de/tv/monitor/beitraege.phtml?id=379
Klaus Bednarz: "Und auch der Propaganda-Krieg geht weiter.
In der vergangenen Woche präsentierte die amerikanische Regierung in
englischer Übersetzung ein Amateurvideo, das Bin Laden im Kreis von
Gefolgsleuten zeigt, und das laut Präsident Bush 'Ein vernichtendes
Schuldeingeständnis' Bin Ladens sein soll.
laut MONITOR hat sich vom amerikanischen Aussenministerium die arabische
Textversion des Videobandes besorgt und von unabhängigen und
vereidigten arabischen wie deutschen Sprachwissenschaftlern und
Orientalisten analysieren lassen.
Und siehe da: Die von der US-Regierung der Weltöffentlichkeit präsentierte
englische Übersetzung ist nicht nur teilweise manipuliert, sondern enthält
sogar Fehler. Ein Bericht von Ekkehard Sieker und Georg Restle."
Hauptnachrichten des US-Fernsehsenders CBS am 13.12. Topmeldung: Das
Video von Bin Laden, verschickt vom Pentagon an Fernsehstationen
weltweit. Für den Moderator steht fest: Dies ist der eindeutige Beweis
für die Schuld Bin Ladens an den Terroranschlägen vom 11. September.
Doch in vielen arabischen Staaten machte sich Skepsis breit. Zeigt
dieses Video tatsächlich ein Geständnis Bin Ladens, enthält es
unbezweifelbar Täterwissen des Al Qaida-Führers? Macht dieses Video
den Krieg in Afghanistan zum zweifellos gerechten Krieg gegen einen
Massenmörder? Für die US-Regierung ist der Fall eindeutig.
George
W. Bush: "Ich wusste, dass das Videoband ein vernichtendes
Schuldeingeständnis für diesen Schurken sein würde."
Doch was zeigt das Video wirklich? Die englische Übersetzung aus dem
Pentagon scheint eindeutig. Hier bezichtigt sich Bin Laden ganz
offensichtlich der Tat und behauptet, bereits im Voraus über den
Tatablauf informiert gewesen zu sein. Doch ist diese Übersetzung überhaupt
korrekt?
Wir haben zwei Übersetzer unabhängig voneinander über mehrere Tage
hinweg die Pentagon-Übersetzung mit dem Videoband vergleichen lassen,
Störgeräusche herausgefiltert und jede mögliche Textinterpretation in
Erwägung gezogen. Das Ergebnis:
Dr.
Abdel El M. Husseini, Arabist: "Ich habe die Übersetzung des
Pentagons sorgfältig überprüft. Diese Übersetzung ist sehr
problematisch. Sie ist an den wichtigsten Stellen, die die Täterschaft
Bin Ladens beweisen sollten, nicht identisch mit dem arabischen
Ton."
Beispiel
1: Laut Pentagon-Übersetzung, sagt Bin Laden: "Wir haben die Zahl
der Toten des Feindes im Voraus kalkuliert." "Im Voraus",
auf Englisch: "in advance".
Dr.
Murad Alami, Diplom-Übersetzer: "'Im Voraus' steht nicht drin.
Es ist falsch. Wenn man von der Originalfassung des Arabischen ausgeht,
und es gibt keine Missverständnisse, das man das im Grunde nicht
verstehen kann."
Darüber hinaus stimmen die Übersetzer darin überein, dass der Satz im
Original keinesfalls ein vorausberechnendes Planen oder gar Kalkulieren
der Zahl der Toten enthält.
Beispiel
2: Laut Pentagon-Übersetzung sagt Bin Laden: "Wir hatten eine
Nachricht am vorhergehenden Donnerstag erhalten, dass das Ereignis an
diesem Tag stattfinden würde." "Vorhergehend":
"previous".
Dr.
Murad Alami, Diplom-Übersetzer: "'Vorhergehend' existiert
nicht. Der Nachsatz, dass dieses Ereignis an dem Tag beziehungsweise an
diesem Tag stattfinden würde, ist in dieser arabischen Originalfassung
nicht herauszuhören."
Beispiel
3: Laut Pentagon sagt Bin Laden: "Wir forderten jeden von ihnen auf
nach Amerika zu gehen." "Wir", auf Englisch
"we".
Dr.
Murad Alami, Diplom-Übersetzer: "Diese Übersetzung mit 'wir'
ist falsch.' Es wurde von ihnen verlangt', heisst es in der arabischen
Originalfassung, die ich gehört habe. Was danach kommt, an Satz
beziehungsweise Nachsatz ist unverständlich."
Drei Beispiele von vielen, die die Beweiskraft des Videos in Zweifel
ziehen lassen. So sieht dies auch der Hamburger Islamwissenschaftler
Professor Rotter.
Prof.
Gernot Rotter, Islamwissenschaftler und Arabist, Asien-Afrika-Institut,
Uni Hamburg: "Unabhängig davon, ob Bin Laden selbst,
organisatorisch, aktiv in die Anschläge verwickelt war oder nicht:
Dieses Band ist von einer so schlechten Qualität, dass es streckenweise
überhaupt nicht zu verstehen ist. Und das, was zu verstehen ist, oft
aus dem Zusammenhang gerissen ist, dass man daraus kein Beweismittel
konstruieren kann. Die amerikanischen Übersetzer, die die Bänder abgehört
haben und transkribiert haben, haben offensichtlich an vielen Stellen
Dinge hinein geschrieben, die sie hören wollten, die aber so - auch
nach mehrmaligen anhören, nicht zu hören sind."
Schuldig oder unschuldig? Wenn die US-Regierung Bin Laden der Tat überführen
will, dann muss sie bessere Beweise vorlegen.
Klaus Bednarz: "Im Krieg stirbt die Wahrheit als erstes.
Dies gilt für alle Seiten."
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