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 Palästina   

Doppelbödige Moral
entnommen: http://www.zurzeit.at/gespraech.htm 22.Juli 2006 ZZ 29—30/2006 | ZZ im Gespräch | Der Journalist und Buchautor Fritz Sitte zur aktuellen Entwicklung im Nahen Osten und zur Rolle der USA |  Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz

 

 

Herr Professor Sitte, die israelische Armee ist im Gazastreifen einmarschiert und hat eine Invasion in den Libanon begonnen. Droht das Pulverfass Naher Osten zu explodieren
     
Fritz Sitte: Mit der Invasion, Bombardierung und Blockade des Libanon droht ein Flächenbrand im Nahen Osten. Hinzu kommen noch die provozierenden Überflüge des syrischen Präsidentenpalastes in Damaskus durch israelische Kampfflugzeuge, was offensichtlich demonstrativ zeigen soll, dass Israel auch vor einer weiteren Eskalation nicht zurückschreckt. Regelrechte Kriege wegen dreier gefangener israelischer Soldaten anzufangen, ist absurd und völlig unangemessen.

Was sind denn die Ursachen für den israelisch-palästinensischen Konflikt?


Sitte: Das ist ein heikles Tabu-Endlos-Thema, das viele nicht gerne aufblättern. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Staat Israel in der UNO mit einer Stimme Mehrheit beschlossen, und die jüdischen Terrorbewegungen – oder hiessen sie damals Befreiungsbewegungen? – ‚Haganah’, ‚Irgun’, ‚Stern’ etc kämpften, sprengten und bombten (King David Hotel) – wie heute die Hamas, Hisbollah u.v.a. – um die Verwirklichung ihres Staates. Vom ersten Augenblick an stand diese Staatsgründung unter einem unglücklichen Stern, weil dieser neue Judenstaat (Theodor Herzl) aus historischen Gründen, wie ein Stachel und Fremdkörper im Fleisch, von arabischen Ländern umgeben ist. Aber einen Staat zu gründen, indem man mehr als eine Million arabische Bewohner einfach mit Gewalt auss er Landes jagt, die nie mehr in ihre Heimat zurückkehren dürfen, das war die Ursache, dass die blutige Spur von Anschlägen und Vergeltung, von der Staatsgründung bis heute, kein Ende findet und das Problem unlösbar bleibt. Auch in diesem Fall wird immer nur von Terroranschlägen berichtet, während die israelische Seite lediglich „Vergeltung“ übt und mit Panzern auf steinewerfende Kinder schiesst (Intifada). Auch eine Hamas und Hisbollah kämpfen – wie einst die Israelis – für einen souveränen Staat, den man den Palästinensern aber seit einem halben Jahrhundert verweigert. Mit der gepredigten „Selbstverteidigung“ oder Terrorbekämpfung hat dieser Krieg absolut nichts zu tun. Israel wollte von Anfang an kein Zusammenleben mit den Arabern in einem gemeinsamen Staat und hat 60 Jahre lang die Zweistaaten-Lösung erfolgreich verhindert. Sie fühlen sich als ein selbstherrliches auserwähltes Volk.

Aber die Israelis haben eine Existenzberechtigung, die man ihnen nicht absprechen darf.

     Sitte: Selbstverständlich haben sie das. Aber es spricht niemand von der Existenzberechtigung der Palästinenser. Von der acht Meter hohen Schandmauer bis zur Niederwalzung von unzähligen Olivenhainen; Raketenzerstörungen von öffentlichen Gebäuden und Wohnhäusern, die der Westen dann wieder mit unseren Steuergeldern aufbaut; gezielte Ermordungen von unliebsamen Politikern, und die Konzentrationslager sind voll mit politischen Gefangenen. Israel hat mehr als 75 Resolutionen der UNO ignoriert und nicht befolgt – alles unter dem einäugigen Veto-Schutz der USA. Israel ist für die USA jedoch der unverzichtbare und verlässliche geostrategische Stützpunkt für den Nahen und Mittleren Osten und deshalb hat Israel freie Hand für seine abscheuliche Gewaltpolitik, die sich kein anderes Land der UNO erlauben dürfte. Etwas sollte man in dem Zusammenhang auch deutlich erkennen, dass die Amerikaner die für Israel bedrohlichen arabischen Flanken (Irak, Libanon, Syrien, Iran) freizuschaufeln versuchen. Die mächtige jüdische Lobby in den USA bestimmt zweifellos die amerikanische Aussenpolitik.

Der Iran soll die Hisbollah im Libanon unterstützen. Könnte die Offensive Israels ein Vorwand für die USA sein, nun den Iran ins Visier zu nehmen?
     
Sitte: Der Iran unterstützt die „Befreiungsbewegung“ Hisbollah und die USA unterstützen Israel. Das sind doch heutzutage die allgemein üblichen Gleichgewichtsregeln in unserem Konfliktzeitalter. Auszuschliess en ist bei Bush überhaupt nichts, weil der Mann unberechenbar ist. Selbstverständlich kann man Atomanlagen mit Raketen und Bomben zerstören, so wie es Israel einst mit dem irakischen Atomzentrum vollbrachte. Die iranischen Atomzentren sind jedoch weit verstreut und liegen meist zehn Stockwerke tief unter der Erde. auss erdem hat der Iran ein wesentlich gröss eres militärisches Potential als der gewaltsam abgerüstete Irak. So einfach wäre dies also nicht. Abgesehen davon würde es einen Aufschrei in der gesamten arabischen Welt geben. Für US-Bodentruppen reichen die personellen Kapazitäten nicht mehr, nachdem man für den Irak zum Teil bereits auf Einheiten der Nationalgarde zurückgreifen musste. Aber auch beim Iran-Gezeter geht es im Hintergrund ums Erdöl, eine Waffe, die für die gesamte Weltwirtschaft weitaus verheerender wirken kann als eine Atombombe. Es geht den USA im Nahostkonflikt ausschliess lich um die totale Kontrolle des öltriefenden Golfes und um nichts anderes, wobei Israel seinem uralten Traum von Gross-Israel näherzukommen hofft. Absurd ist auch die Tatsache, dass deutsche und andere westliche Soldaten im Hindukusch die Demokratie verteidigen oder den Terror dort bekämpfen sollen, wo sie in Wirklichkeit nur die Drecksarbeit für die Amerikaner machen. Ein Staatsoberhaupt, das für einen Staatsbesuch zu seiner persönlichen Sicherheit 30.000 Polizisten braucht, weil sonst die Volkswut sein Leben bedroht, ist ein trauriges Zeichen für diese unbeliebte Weltmacht.

Im Irak ist US-Präsident Bush alles andere als erfolgreich. Was sind denn die Gründe dafür?

     Sitte: Typisch dafür ist der Stadt-Guerillakrieg im Irak, eine Parallele mit anderen Vorzeichen zum einstigen dschungelkrieg in Vietnam. Guerillakriege kann man nie mit Panzern und Kampfflugzeugen gewinnen, Der alte Mao-Spruch vom „Fisch im Wasser“ trifft auch im Irak zu. Die Amis haben keinen Rückhalt in der Bevölkerung, sondern die Besatzungstruppen sind unerwünscht und verhasst. All diese bedauerlichen tödlichen Widerstands-Aktionen werden in allen Medien als ‚Terror-Akte’ bezeichnet und verurteilt, während die andere Seite darin einen Befreiungskampf sieht.

Es werden dabei aber doch auch viele Zivilisten getötet...

     Sitte: Warum sieht man nur dort die Zivilisten? Die US-Soldaten haben Hochzeitsgesellschaften zusammengeschossen, ganze Dörfer eliminiert und bis jetzt mehr als 30.000 irakische Zivilpersonen getötet. Warum wird auf der einen Seite nur von Terroristen berichtet, während die Amerikaner lediglich von unvermeidbaren Kollaterialschäden sprechen? Die USA haben willkürlich und gewaltsam, entgegen jedem Völkerrecht, den Irak imperialistisch mit Brachialgewalt besetzt. Warum werden Kämpfer gegen eine Besatzungsmacht nicht als Freiheitskämpfer, sondern als Terroristen bezeichnet?

Der Kriegsgrund der Amerikaner, Saddam Hussein zu stürzen und den Irak in eine Demokratie zu verwandeln, war also nur ein Vorwand …

     Sitte: Alle Kriegsgründe der Amis waren erlogen, und von Demokratie ist schon lange keine Rede mehr. Die Gefängnisse – bis Guantanamo – sind voll, und es wird gefoltert, so wie es Saddam Hussein praktizierte. Die importierte Irak-Regierung steht auf der Gehaltsliste der CIA, und in Wirklichkeit geht es ja nur um die Herrschaft und Kontrolle über das Erdöl und sonst nichts. Macht ist nicht gleich Recht, aber die Medien lassen sich die Vokabeln in der Berichterstattung offensichtlich vorschreiben und unterscheiden keineswegs zwischen Terror und Befreiungskampf.

Geht es letzten Endes nicht auch um die Stabilität der ganzen Region?

     Sitte: Genau das Gegenteil ist erreicht worden. Der Irak wird eines Tages in drei Teile zerfallen. Schiiten, Sunniten und Kurden. Damit ist eine bedrohliche Flanke für Israel freigemacht, was auch zu den echten Kriegsgründen zählt. Das richtige Chaos wird ausbrechen, sobald der letzte GI den Irak verlassen hat. „Wir bleiben bis wir gesiegt haben“ – all die jetzigen vollmundigen Sprechblasen haben wir auch schon während des Vietnam-Krieges gehört –. Der Irak kostet bis jetzt den amerikanischen Steuerzahler laut Kongress runde 50 Milliarden Dollar pro Monat. Der nächste US-Präsident wird dieses Bush-Desaster ausbaden müssen.

Man hat den Eindruck, dass Sie USA-feindlich eingestellt sind.

     Sitte: Das stimmt und ich gebe es auch ehrlich zu. Ich verachte diese gröss enwahnsinnige, imperialistische Weltpolizisten-Machtpolitik der USA, bei der weder Menschenrechte noch Völkerrechte beachtet werden, ganz entschieden. Es ist nur beschämend, wie ein Kriegsverbrecher George Bush devot und kriecherisch bei seinen Staatsbesuchen im Westen empfangen wird, obwohl der Mann eigentlich vor das internationale Tribunal in Den Haag gestellt werden müsste, das er wohlweislich für alle Amerikaner als nicht zuständig erklärte und die Drohung hinzufügte, dass er jeden angeklagten Amerikaner mit Waffengewalt aus Den Haag herausholen würde.

 

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