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Dialog

 

 
   

Diagonal 

 

Brief von Muhammad Abu Bakr Mueller an Herrn Peter Lachnit  /  ORF  „Diagonal“  /  Argentinierstrasse 30a  / 1040 Wien  betrifft: „Diagonal“ Sendung mit Bassam Tibi, u.a.

 

Sehr geehrter Herr Peter Lachnit!  

Sie haben in der Sendung „Diagonal“ einige Textstellen aus Büchern von Herrn Bassam Tibi  vorgelesen. Mit welcher Absicht Sie dies getan haben weiß ich nicht. Die Länge und Komplexität der vorgelesenen Textstellen stand in keinem Verhältnis zur Möglichkeit der Antworten und konnte allein deshalb nicht ziel führend sein. Da ich selbst Muslim bin, war ich von einigen der Äußerungen des Herrn Tibi angeekelt. Diese wären weitgehend belanglos würde er nicht behaupten selbst Muslim zu sein. Ich möchte daher einiges nicht unerwähnt stehen lassen. Ein Muslim soll die Fehler anderer zwar nicht veröffentlichen, doch sobald jemand im Namen des Islam mit Irrlehren an die Öffentlichkeit tritt wird die Richtigstellung für jeden Muslim, der die Möglichkeit dazu hat, zur allgemeinen Pflicht. Die große Mehrheit der Muslime in Österreich ist allerdings nicht einmal in der Lage den Ausführungen des Herrn Tibi zu folgen und noch weniger, ihm zu antworten und so entsteht leicht der Eindruck, dass Herr Tibi irgendeine Anerkennung unter Muslimen hat; es sei denn, man sucht diese Anerkennung in einer gewissen Gruppe seiner Berufskollegen.

Da Sie mich nicht kennen, Folgendes zu meiner Person: ich habe vor fast 20 Jahren Islam als meine Religion angenommen. Aus Überzeugung und ohne gesellschaftlichen Vorteil oder Notwendigkeit. So wie Herr Tibi in seiner arabischen Heimat als „dem Islam zugehörig“ aufwuchs, so bin ich in Österreich als Katholik aufgewachsen. Meine Vorfahren sind Österreicher, Deutsche, Tschechen, Slowaken und andere Europäer. Einer meiner Urgroßväter hat ein Buch über den Ständestaat verfasst und achtete dabei auf genaue Übereinstimmung mit dem Vatikan (Styria Verlag, Der Ständestaat); seine Tochter hatte einen reservierten Kirchensitz, den ich oft benutzte. Die Hochwürden kamen häufig zum Tee und noch heute gibt es in der Verwandtschaft Theologen. Die ersten Jahre der Mittelschule verbrachte ich im Klosterinternat und habe fast nur gute Erinnerungen an diese Zeit. Die meisten meiner Vorfahren waren Christen, manche Juden und soviel ich weiß war niemand Muslim bis auf eine sehr entfernte bosnische Verwandte, die, vor den Türken fliehend, zusammen mit ihrer Dienerin im Wald gefangen wurde. Die alte Dienerin ließ man frei, das Mädchen wurde zum Sultan gesandt, welcher sie heiratete. Sie bekannte sich zum Islam und nahm den Namen Gül Bahare an und ihr Grab befindet sich in Fatih / Istanbul.  

Religionen sind nicht mit Rassen verwandt, wie Hitler, Juden und andere dies gerne dargestellt wissen, und auch nicht mit Nationalitäten. Nur in Bezug auf Glaube sollte von einer Religion gesprochen werden, sofern man etwas verstehen will. Aus „kultureller Sicht“  jedoch, ist alles ganz anders und flacher; da gilt das, was heute Brauchtum genannt wird und der amtliche Eintrag, der Ahnenpass, die so genannte ererbte „kulturelle Identität“ für die man nichts kann, wie Herr Tibi das in Ihrer Sendung auf sich bezogen ausdrückte. Also man kann Religion auf die Ebene von Tieren und Pflanzen setzen. Muhammad (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) sagte, dass alle Menschen bei der Geburt Muslime [Falsch; der Gesandte Allahs hat gesagt, dass alle Menschen in Fitdrah geboren werden; Muslim wird der Mensch erst durch sein Bekenntnis zum Islam. Das wird von vielen missverstanden - durchgelesen und ausgebessert 2019] seien und erst später zu der einen oder anderen „Religion“ (im Sinne von Kultur) geführt werden. Was mich betrifft, so war ich, im Sinne des Glaubens, trotz regelmäßiger Messebesuche niemals ein Christ, eher ein römischer (katholischer) Kulturträger. Mein Glaube wurde niemals von jemandem hinterfragt; nicht von den Eltern, nicht von der Schule. Ich konnte innerlich auch keinen Konflikt mit der Kirche haben, da ich kein gläubiger Christ war und keine Steuern zu zahlen hatte; der Rest war römisch/griechisches Theater. Erst viel später sollte mir der Zusammenhang der Automatismen bewusst werden.  

Als Muslim höre ich österreichische Landsleute (mit Hochschulstudium!) zu mir sagen: „Sie sind aber kein echter Mohammedaner! Sie kommen ja nicht von dort!“  Drückt das nicht aufs Deutlichste das „kulturelle“ Selbstverständnis oder die Gleichstellung von Religion und Kultur im heutigen Gesellschaftsdurchschnitt aus? Niemand kann eine andere Religion umfangreicher auffassen, als er seine eigene auffasst. Wären da nicht „Schnapsverbot, Schleier, fünf mal täglich beten, Schweinefleischverbot, Handabhacken, usw.“ dann hätten die Österreicher viel weniger gegen Islam. Das sind die üblichen Argumente. Der Glaube hat in den Gesprächen fast nie eine Bedeutung; auch Herr Tibi sprach nur von Kultur. Glaubensfragen können nur von Gläubigen erlebt werden. Kultur dagegen ist ein Spielzeug mit Ismen. Und hier bin ich beim Thema meines Schreibens: „Der Unterschied, bzw. die Gleichsetzung von Religion und Kultur" wie er sich sich in Europa eingebürgert hat“. Im Qur‘aan gibt es nur das Wort „Diin“, welches für Religion und Kultur als Einheit steht. Das Konzept der Säkularisation war damals noch nicht formuliert.  

Viele der aus den so genannten Islamischen Ländern eingewanderten Menschen sind nicht mehr oder weniger Muslime als ich früher Christ war und Herr Tibi (soweit aus dem was vorgelesen wurde und er selbst dann noch gesagt hat) ist Vertreter und Verteidiger der erfolgreichen Einwanderer Gruppe. Ich erachte seine Tätigkeit schlimmer als die literarischen Äußerungen eines Salman Rushdi, dessen böse Bemerkungen letztlich kein Muslim annehmen wird. Herr Tibi aber ist ein Meister im doppelten Geschäft: einerseits verdient er mit den Emotionen und Gesellschaftskonflikten jener, die, wie er selbst sind und liefert ihnen angenehme Rechtfertigungen für ihren „angepassten Islam“ und andererseits verkauft er sich den Nichtmuslimen als Aushängeschild der Säkularisation mit „arabisch-wissenschaftlichem“ Background, fließend im Umgang mit den verschiedenen Lieblingsthemen der Medien. Also ein „echter“ arabischer Muslim, der so viel studiert hat, dass er ja wissen muss was richtig ist. Herrn Tibi's Technik ist es, 99 richtige Fakten zu nennen um ein falsches, den Glauben schädigendes Faktum anzuhängen oder dieses unterzuschieben. Er liefert einen verbalen Hühnerstall mit viel Gegacker und dazu den Fuchs im Federkleid. Anders ausgedrückt: Herr Tibi beeindruckt mit Daten und schnell gebrachten Argumenten und mit hinzu gemischtem Arabisch, damit alles echt klingt: „Da sag‘ ich Ihnen jetzt auf arabisch: möge Allah Ihnen verzeihen“, nachdem er auf seine Fehler durch eine in Ihrer Sendung anwesende Muslima aufmerksam gemacht wurde.  Der „integrierte “ Herr Tibi (und er ist in diesem Schreiben Symbol für seine Gesinnungsgenossen) erfüllt die Wünsche der Nichtmuslime und mancher bereits etablierten Einwanderer. Herr Tibi zeigt sogar offen seine Angst, dass die nicht so integrierbaren, schlechter ausgebildeten Einwanderer die Arbeitsplätze gefährden und seine „Visionen“ des von ihm erfundenen Euro Islam zunichte machen könnten. Das Thema wird wohl über ganze Bücher gesponnen.  

Weder Heirat noch Arbeitsvorteil und schon gar nicht solche Ansichten wie sie Herr Tibi vertritt haben mich jemals für Islam interessiert; vielmehr - hätte ich damals derartiges gehört - wäre mir der Islam als ablehnenswert erschienen. Das banale, untranszendente Kulturgebastel welches Herr Tibi Islam nennt, war genau das, was ich innerlich hinter mir lassen musste um Muslim zu  werden. Was für Herrn Tibi notwendige Integration ist, war mir notwendige Exegration. Muslimische Einwanderer gehen häufig in die Gegenrichtung zu jenen die Muslime geworden sind oder unbewusst sein möchten. Manchmal trifft das auch geographisch zu, denn Europäer die den Islam annahmen wandern immer wieder aus, weil der stark verbreitete Integrationswahn nicht nur dumm, sondern mit dem Glauben unvereinbar ist und folglich nicht gerade angenehm, wenn man erlebt wie einem die eigene Religion rattenfängerisch entstellt wird. Es ist nicht die Schuld der Nichtmuslime, wenn Muslime beim Militärdienst oder am Arbeitsplatz fragen ob sie beten dürfen. Das ist die Schwäche oder die Schande welche die Muslime selbst verursachen.  

Was ist das Motiv der Mehrheit der Auswanderer aus Afrika oder Asien um nach Europa zu kommen? Bis auf die politisch Verfolgten und einige wenige andere Ausnahmen ist es immer die Hoffnung auf Wohlstand oder sonstige Fortschrittsideen. Auch für Herrn Tibi trifft das zu und ich denke, er leugnet das auch nicht. Die einen streben Wohlstand via Studium an und die anderen indem sie sofort mit einer Arbeit beginnen. Das Motiv ist das selbe. Das Gerede darüber ist unterschiedlich. Ob Muslim oder nicht. Überall haben Menschen Angst vor der Zukunft. Überall wollen Menschen mehr und mehr. Jeder Mensch hat diese Anlage in sich und in Europa reizt der große Überfluss momentan gewaltig. Wenn dann jemand etwas erreicht hat bekommt er Angst, dass er es wieder verliert oder, dass es weniger wird. Hat der Mensch endlich Wohlstand, verteidigt er ihn und Islam darf dabei nicht stören. Wer kennt nicht die These vom ständigen Wirtschaftswachstum. Diese ganze Angelegenheit ist so alt wie die Menschheit und die Ursache von Kriegen sind nicht Religionen, sondern diese Ängste um das Wirtschaftswachstum, das man sich durch Religion nicht schmälern lassen will. Dieses Thema von Haben und Verlieren ist daher untrennbarer Bestandteil jeder geoffenbarten Religion und ihrer Gesetze. Wenn die entsprechenden Textstellen der heutigen Bibel richtig überliefert sind, so hat Jesus (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) über den Wahn des Wirtschaftswachstums genügend gesprochen. So kommen also die Muslime nach Europa um sich zu bereichern (auchHerr Tibi sagt das) und - wenn sie erreicht haben was sie beabsichtigt hatten - dann erscheinen die vielen Nachkommenden als Gefährdung des bereits gewonnenen Wohlstandes. (Herr Tibi verschiebt dies auf den Ausbildungsstand; also man hilft nur dem, von dem man profitiert). Ich habe in Österreich noch nie einen Muslim getroffen dessen Absicht zur Auswanderung Islam gewesen wäre, es sei denn als bezahlter Lehrer wie das die Saudis jetzt leider tun oder wie es im Rahmen des österreichischen Schulunterrichts vorkommt. Viele Auswanderer hoffen auf baldige Rückkehr mit genügend Geld, um eine Wohnung zu kaufen und um ihren kulturellen Schlaf zu Hause fortsetzen zu können. Wirtschaftliche oder Islamfeindliche Bedürfnisse sind fast immer die Absicht für Auswanderungen. Dann kommt meist alles anders als erwartet und das kulturelle Vakuum ohne heimatliches Umfeld wird deutlich. Es entstehen verschiedenste GetthoVereine und amtliche Gesellschaften zur Linderung dieser speziellen Not. Bei diesen Unternehmen kommt es dann durchaus zu dem Phänomen, dass Islam für Verschiedenstes verantwortlich gemacht wird; manchmal zu recht und manchmal zu unrecht. Diesem Absatz würde wohl auch Herr Tibi weitgehendst zustimmen, doch setzt er Religion und Kultur auf die gleiche Stufe und öffenet seinen IsmenBauchladen, gefüllt mit Lieblingsworten wie: Islamismus, Radikalismus, Fundamentalismus, Terrorismus, Säkularismus, usw.. Psychologisch gesehen spricht Herr Tibi ständig nur von sich selbst. Der Shar‘iah (Islamisches Gesetz) nach bewegt er sich außerhalb des Islamischen Glaubens. Er ist mit einem der vielen Arten des Virus „religio kulturis“ infisziert und versucht, Muslime damit anzustecken, vielleicht deshalb um seine eigene Krankheit besser ertragen zu können.  

Ein Beispiel aus der Diskussion: die einzige anwesende Muslima in der (offensichtlich geschnittenen) Diskussionsrunde setzte irrtümlich die Krawatte dem Kopftuch gleich; sie wollte ganz zu recht dem Geschwätz des Herrn Tibi etwas entgegnen, war dem aber nicht gewachsen. Sie versuchte Islam zu verteidigen, verwechselte jedoch Zweck mit Symbol, obwohl sie das Richtige sagen wollte. Das Kopftuch hat den Zweck des Verhüllens weiblicher Reize (Haare) entsprechend den Anweisungen des Propheten Muhammad (auf ihm seien der Friede und Segen Allahs). Eine politische Bedeutung der Haarverhüllung ist von Nichtmuslimen oder verwirrten Muslimen dazugedichtet worden. Die Krawatte dagegen ist ein Symbol oder eine Dekoration ohne dabei den Zweck des Bekleidetseins oder Verdeckens vor Blicken zu erfüllen, sondern eher das Gegenteil, es sei denn man definiert Kleidung nur als Material und den Menschen nur als rationales Tier ohne weitere Werte und ohne Signale usw.. In sogenannten Islamischen Ländern gibt es allerdings viele Frauen welche die Kopfbedeckung wie eine Krawatte tragen und den Zweck vergessen haben und solche sind auch unter den Einwanderern. Nun können Tibis diesen Missstand nützen um den Sinn der Kopfbedeckung abzuschaffen. Ähnlich einer alten Dame mit Minirock, die dessen eigentlichen Zweck durch die Gewöhnung (Kultur) vergessen hat. Herr Tibi benützt nun diese unvermeidlichen Erscheinungen der Kultur (nicht der Religion) als Argument, nein, als zuvor eingeschmuggelten Fuchs, der jetzt im Hühnerstall zu recht fressen muss. Wörtlich sagte Herr Tibi, dass in den meisten Islamischen Ländern die Frauen kein Kopftuch tragen würden. Abgesehen davon ob dies stimmt oder nicht, ist es ohne Zusammenhang mit dem Thema, doch verdeutlicht dies seine Position. Allgemein gesagt ist das Bedecken des Kopfes so zu betrachten wie das Bedecken jedes anderen zu bedeckenden Körperteils; vielleicht hat Herr Tibi beim Anblick von Frauenhaar  noch nie etwas empfunden und nimmt sich als Maßstab. Wären Frauenhaare nicht ein wichtiger Reiz, hätten die Friseure längst geschlossen.   

Ich nehme dieses einfache Beispiel um Herrn Tibis Argumente weiter zu entkräften: Er sagte dass dies und jenes nicht im Qur‘aan stünde und nur eine spätere Einführung sei oder dies und jenes aus dem siebenten Jahrhundert stamme. Herr Tibi folgert daraus die Unverbindlichkeit allgemein und im speziellen die Unverbindlichkeit der Haarverhüllung für Frauen. In der Tat, sprachlich hat Herr Tibi recht, es steht nicht wörtlich im Qur‘aan, dass Frauen ihre Haare verhüllen müssen. Dem erwidere ich aber, dass der Glaube an Allah nicht allein durch den Glauben an den Qur‘aan  bestätigt wird sondern auch dadurch, dass an keiner Erklärung Muhammads (Friede sei mit ihm) gezweifelt wird. Der Glaube an Muhammad als Prophet (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) und die Liebe zu ihm waren von Anfang an die Basis für alle Muslime und sie fragten Muhammad (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) wie der Qur‘aan zu deuten sei. So ist etwa das rituelle Gebet im Qur‘aan nicht im Detail beschrieben und nur durch Muhammads (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) Erklärungen und Vorführungen bis ins Detail bekannt. Nach der Theorie des Herrn Tibi könnten also die Muslime das rituelle Gebet durchaus umgestalten. Es war die Ansicht aller Gefährten des Propheten (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm), dass Anweisungen Muhammads (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) zu befolgen seien und dazu gehört nicht nur das Gebet und die Art und das Ausmaß der Verhülltheit der Frauen. Das Beispiel bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Der Glaube wird dort verlassen, wo das Falsche als Richtig dargestellt wird.  

Die Lebensweise des Propheten (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) gilt für Muslime als Grundlage zur Durchführung vieler Angelegenheiten des täglichen Lebens.  Durch die Nachahmung der Lebensweise des Propheten (Friede sei mit ihm) wird eine geistige Verbindung zum Geliebten (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) des Geliebten (Allah ) hergestellt. Herr Tibi vermittelte mir den Eindruck, dass er nicht zu jenen Menschen gehört, die dem Propheten Muhammad (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) nachfolgen wollen und außerdem versucht, auch andere von diesem Weg abzubringen. Politik, in der Weise wie der Begriff heute benützt wird, ist ein Teil davon, doch untrennbar damit verbunden;  so wie das Euter mit der Kuh.  

Glaube gibt es als allgemeinen Begriff und so gesehen gibt es niemanden, der nicht zwangsweise etwas glaubt. So gibt es den Glauben (meist Theorie genannt), dass sich der Mensch aus dem Affen entwickelt habe und den Glauben an dieses und jenes Modell der Weltgeschichte. Zumeist spricht man heute von Wissenschaft und ist dabei überzeugt, dass dies etwas anderes als Glaube sei. Manche glauben auch, dass es Gott nur als psychologisches Phänomen gäbe, andere glauben an Demokratie, andere an viel Vergnügen, usw.. Ebenen der Betrachtung werden oft ohne jegliches Wissen vermischt. Das ließe sich lange fortsetzen, man überlege die Theorie der exakt wiederholbaren Experimente. Das Wort Glaube (Imaan) als Terminus technicus des Islam kann  nur auf eine vom Schöpfer offenbarte Religion bezogen werden und steht daher im Gegensatz zu den vorhin erwähnten Theorien, welche auf Beobachtung dieser Schöpfung des Schöpfers beRuuhhen. Kultur wird heute, wie anfangs erwähnt, oft mit Religion gleichgesetzt. Kultur ist jedoch bestenfalls eine Folgeerscheinung des Glaubens im allgemeinen Sinn oder auch im religiösen Sinn. Im Falle des Islam oder Christentums ist der Glaube an die Offenbarung eindeutig als Kern der Kultur zu erkennen. Wenn der Glaube an die Offenbarung wegfällt, dann sieht man aber nur noch rituelle Oberflächen und verwechselt Kultur mit Religion, Glaube mit Kopftüchern, Gebetszeiten mit Arbeitszeit, usw., bis die Gültigkeit der Shar‘iah in das siebente Jahrhundert zurückverlegt ist.  

Im Christentum ist Säkularisation potentiell möglich, weil die erfundenen Kirchen mit ihren Priestern oder Priesterinnen eine solche Trennung von Staatsgewalt und Kirche implizieren. Im Islam ist diese Trennung real nicht möglich, da es keine Kirche und auch keine Priester gibt die vom Staat getrennt werden könnten. In einigen so genannten Islamischen Ländern regieren jedoch keine Muslime, sondern Heuchler (also solche, die von sich sagen, dass sie Muslime seien) und nennen ihre Regierungen säkular. Gleichzeitig fördern sie jedoch Festlichkeiten mit großem Aufwand und glauben, deshalb Muslime zu sein.  

 

Ich hoffe, Sie sehen nun durch meine kurzen Andeutungen, dass Islam oder die Integrationsfrage von Muslimen in Europa nur dann ein sinnvolles Thema sein kann, wenn die Grundlagen klar sind. Nöte der Ausländer oder Inländer werden benützt um Islam zu entstellen. Sollte man etwa die amerikanischen Goldgräber als Beispiel für das Christentum heraussuchen? Waren diese Goldgräber nicht besonders mutige Menschen die sich fast alle zum Christentum bekannten? Das soziale Problem, die Ausgrenzung, die Arbeitslosigkeit, der Fundamentalismus, die Integrität, usw. – all dies benützt Herr Tibi als Verdienstquelle die nicht versiegen kann weil es auch kein Resultat geben kann. 

 

Ich bin auch überzeugt, dass es Islam in Europa früher oder später geben wird, aber ich denke dabei nicht so sehr an die Immigranten. Erscheinungen der heutigen Eurokultur (z.B. Karneval, Heuriger, Zinsen, christliche Kreuze, Prostitution, usw......) sind Oberflächen tieferer Realitäten eines Zustandes den es auch für Muslime gibt und weil Muslime von der Ablehnungswürdigkeit dieser tieferen Realitäten wissen, kann es auch nie eine Integration geben, außer wenn man Islam verlässt. Herr Tibi will sein lahmes Pferd, den EuroIslam, noch dazu beim Schwanz aufzäumen. 

 

Ich hoffe, dass Ihnen dieser Brief die Existenz einiger Zusammenhänge aufgezeigt hat und dass Sie weiterhin bemüht sein werden das Verständnis für den Islam zu fördern, denn es geht dabei um eine gehobenere Lebensqualität die in Mediendiskussionen stattfinden könnte. Es war wohl nicht Ihre letzte Sendung.  
  

Mit freundlichen Grüßen  

 

Muhammad AbuBakr Mueller  
dhul hidschja 1419 /  März 1999  

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