Die neuen Bösewichte des Islams
Als "mörderische Fundamentalisten" gelten sie im Westen. Die
Taliban sind indes nur für eines typisch -die kriegsversehrte Gesellschaft
Afghanistans. ....von Josef Schorn in den Salzburegr Nachrichten 6. August 2001
[ Bemerkung Islam.at : Dieser Artikel ist nicht wiedergegeben weil darin alles so besonders richtig
dargestellt wird, sondern weil er zeigt, wie sich manche Menschen doch bemühen,
die ganze Taliban-Angelegenheit nicht mehr einfach so zu schlucken, wie sie von
den meisten Medien und auch von vielen Islamischen Vereinigungen darzustellen
versucht wird, nämlich nur negativ.]
Das Kabul, das Hunderttausende junge Menschen aus dem Westen angezogen hatte,
als es exotisches Flair, eine Börse am Kabulfluss und deutsche Buchhandlungen
gab, war mit der Sowjetinvasion untergegangen. Für die Bewohner der
afghanischen Hauptstadt folgte die wahre Zäsur aber erst im Herbst 1996. Mit
den Taliban zog die neue Zeit in Kabul ein - mit westlich anmutenden Vergnügungen
war es vorbei: Die Kinos sperrten zu, der traditionelle Hollywood-Streifen am
Freitagabend im TV wurde abgesetzt.
Untersagt wurden die prunkvollen Hochzeitspartys wohlhabender Kabuli in den
Hotels der Stadt, gebannt auch unverschleierte Frauen aus dem Strassenbild und
von den Arbeitsplätzen, die ihnen Verwaltung und internationale Organisationen
geboten hatten.
Osama Bin Laden im Reich des Bösen
Mit der Scharia kamen die drastischen Strafen des Islamischen Rechts, in Spitälern,
Ämtern und gar in Bussen wird auf die Trennung von Mann und Frau geachtet. Die
Bärte der Männer werden auf ihre züchtige Länge hin überprüft.
Aus westlicher Sicht konzentrierte sich die Kritik am Kurs der Talibanführung
zumeist auf die offenkundigen Verstöss
e gegen die Menschen(vor allem:
Frauen-)rechte. Die Kampagne gegen "unIslamische Götzen"
[islamische gibt es nicht] und die
Zerstörung buddhistischer Statuen, die dem Weltkulturerbe zugerechnet werden,
machte die Taliban endgültig zu fundamentalistischen Ungeheuern und
Afghanistan, das Gastland des international gesuchten Top-Terroristen Osama Bin
Laden, zum neuen Reich des Bösen.
Als vor zwanzig Jahren die schiitischen Mullahs den Schah aus dem Iran
verjagten und die Hausfrauen im Westen auf die Bilder von prunkvollen Empfängen
in Teheran verzichten mussten, waren es diese Signale, die sich als Klischee
einprägten: Schwarzes Kopftuch,
fanatisierte Glaubenskrieger, finster blickende Kirchenoberhäupter wie
Ayatollah Khomeini. In der Islamischen Welt hingegen wurde ein neues
Identifikationsmodell begrüss
t: Khomeinis überlebensgross
es Bild fand sich
bald in allen Regionen, in denen die Bevölkerung unter einem korrupten
laizistischen Regime stöhnte.
Die reflexartige Kritik, die jetzt in den Taliban ein ähnliches Symbol des
finsteren Fundamentalismus sieht, der die freie Welt bedroht, verschweigt
freilich, dass die militante Bewegung der Koranschüler aus den Flüchtlingslagern
Pakistans in einer Kriegsregion agiert. Die Taliban sind die Antwort auf die Unfähigkeit
der gegen die Sowjets mit Unterstützung der USA erfolgreich kämpfenden
Mudschaheddin, sich von einer Rebellengruppe in eine politische Bewegung zu
wandeln. Aus den Rebellenkommandanten wurden bald nach dem Abzug der
sowjetischen Besatzer Strassenräuber und Erpresser, die das Land am Hindukusch
in ihre Fürstentümer aufteilten, Wegezoll einhoben, brandschatzten und
vergewaltigten.
Der militärische Führer der Anti-Taliban-Koalition, die noch ein paar
gebirgige Nordprovinzen kontrolliert, der Tadschike Ahmed Schah Massud, blieb
als Feldherr unbesiegt, als Politiker versagte er. In Afghanistan dominiert eine
jahrhundertealte "Kultur des Krieges".
Unbestrittene Fakten aus Afghanistan sind rar wie authentische Berichte aus
dem Taliban-Reich. Erst allmählich dringen in westeuropäischen Medien
relativierende Stimmen durch, die die Aufnahme des Dialoges mit dem
Taliban-Regime fordern, das in der
UNO noch immer um Anerkennung ringt. Sie weisen auf einen Umstand hin, den schon
ein SN-Lokalaugenschein kurz nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban
behandelt hat: In der überwiegend dörflichen Struktur des Landes verfügen die
Glaubenskrieger über eine solide Unterstützung in der Bevölkerung.
Die Taliban errangen die Sympathien der Bauern und kleinen Händler mit zwei
Massnahmen. Sie lösten die Kontrollpunkte vor Dörfern und Städten auf, an
denen die lokalen Fürsten Wegezoll eingehoben hatten. "Die Preise für
Lebensmittel sind sofort um 20 bis 30 Prozent gefallen, weil auch die
Transportkosten sanken", räumte sogar ein ehemaliger Offizier der
Anti-Taliban-Koalition in Jalalabad ein, wo er sich als Händler niedergelassen
hatte. Und sie führten die drastischen Scharia-Strafen ein.
Die Scharia hat in Afghanistan nicht einen funktionierenden Rechtsstaat
ausgehebelt - in den Dörfern, die unter der Gewalt marodierender Banden litten,
füllte die Islamische Gesetzgebung ein Vakuum, in dem zuvor lediglich die Willkür
des lokalen Fürsten über Wohl oder Wehe der Bevölkerung entschied. Ähnlich
wie in manchen Gegenden Afrikas - jetzt in Nord-Nigeria - sind es die meist
wenig gebildeten Bauern, Taglöhner und Kleinhändler, die in den von uns zu
Recht als barbarisch empfundenen Strafen den Ordnungsfaktor im alltäglich
belastenden Chaos sehen. Doch ein Exportartikel wie die Islamische Revolution im
Iran wird der Gottesstaat der Taliban kaum werden. Die schiitischen Mullahs in
Teheran schimpfen die sunnitischen Berserker in Kabul schon mal
"Esel". Tatsächlich vertritt der 42-jährige Mullah Mohammed Omar,
der sich im April 1996 vor mehr als tausend Religionslehrern zum "Emir von
Afghanistan" ausrufen und den Mantel des Propheten umhängen liess, nicht
den traditionellen und hochdifferenzierten Islam des städtischen Klerus.
Der scheue Talibanführer, der zuerst gegen die Russen, dann gegen korrupte
Mudschaheddin gekämpft und selbst eine Koranschule in einem Provinznest
betrieben hat, sein Haus in Kandahar kaum verlässt und erst zwei Mal in Kabul
war, hängt einem Islam an, der stark von Elementen des Paschtunwali, dem
Ehrenkodex der Paschtunen, durchsetzt ist. Rechtgläubigkeit und Unglauben sind
die einzig wichtigen Kategorien dieses Kodex, der das Leben in den Dörfern der
Paschtunen, des Mehrheitsvolkes in Afghanistan, regelt.
In Pakistan gibt es 25.000 Koranschulen Omars Islam ist eine Religion, die
aus einer kriegsversehrten Gesellschaft hervorgegangen ist. Seine Kämpfer
kommen aus den Koranschulen (Madrasa), von denen es in Pakistan 25.000 gibt. In
ihnen werden nach einer Grundausbildung von acht Jahren Islamische
Wissenschaften vermittelt - was man braucht, um in einem Dorf Geistlicher zu
werden. Dort lasen die Jungen von einer idealen Gesellschaft, die der Prophet
1400 Jahre zuvor geschaffen hatte. Die wollten sie nachleben, masslos enttäuscht
über die kriminellen Aktivitäten und den Egoismus der einst idealisierten
Mudschaheddin, meint etwa der pakistanische Journalist Ahmed Rashid. Das
Ergebnis war die isolationistische Islamversion eines Dorf-Mullahs, unter der
kriegstraumatisierte Flüchtlinge seit 1994 Afghanistan vereinigen wollen.
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