Das Desaster des arabischen Modernismus "Was
tun die Muslime in Europa?"
von Abubakr Rieger
http://www.Islamische-zeitung.de
Nach Jahrzehnten der geistigen Indoktrinierung des arabischen Raums durch
Imperialismus, Kommunismus, Nationalismus und Kapitalismus steht das geistige
Leben der arabischen Welt vor einer Zäsur. Der Modernismus hat sich derart von
den Quellen der Rechtsschulen, vom 'amal von Madinah und von der
Lebenswirklichkeit des Propheten entfernt, dass er nun als politischer
Extremismus und Terrorismus gipfeln kann. Deshalb fehlt auch Mass und Mitte.
Besonders deutlich wird das Dilemma der arabischen Muslime in Palästina: Dort
scheinen nur die Alternativen des säkular-nationalen Palästinensertums und der
sogenannte Islamische Fundamentalismus übrigzubleiben. Islam ist aber mehr als
nur ein nationalistischer Antisemitismus. Wo aber ist der gerade Weg?
Auch in Europa stehen die Muslime unter dem Einfluss politischer Dialektik.
Der Bogen wird hier schon länger gespannt als Euro-Islam eines Bassam Tibi bis
zum (sogenannten) Islamischen Fundamentalismus eines Usama bin Ladin. Der Muslim
in der geistigen Zange zwischen weltabgewandtem Esoteriker im Weltstaat (der
sich natürlich aus politischen Dingen heraushält) und fanatisiertem
Selbstmordattentäter und Anhänger des Gottesstaates. Hier sollen sich die
Muslime ein- oder besser unterordnen - und viele tun es. Die Reduzierung des
Islam auf eine politische Bewegung und Parteiung ist aber falsch - zur ganzen
Lehre des Islam gehören auch seine eigenständigen sozialen und ökonomischen
Bezüge.
Die Muslime sollten sich nun auf ihr Ureigenstes zurückbesinnen. Hierzu gehören
die Säulen des Islam. Es sind nicht zufällig die europäischen Muslime, die
die Bedeutung des Zakats für die Situation der Muslime erkannt haben. Zakat
wiederum kann man nicht liberal oder fundamentalistisch erheben - sondern nur
korrekt. Der Zakat - eine Säule des Islam - wird heute nirgendwo in der
arabischen Welt korrekt erhoben. Der Islamische Modernismus hat das Recht des
Zakats und das Recht der Ökonomie verlernt und sich stattdessen in den
politischen Extremismus oder in das angeblich allein heilbringende Unwesen
"Islamischer Banken und Islamischer Parteien" geflüchtet. Niemand
wird widersprechen, wenn man nüchtern feststellt, dass Islamische Banken die
Muslime nirgendwo reich und politische Ideologie die Muslime nirgendwo frei
gemacht hat. Es wird nun Zeit, dass die 'Ulama dafür sorgen, dass der Zakat
rechtlich korrekt erhoben wird. Was soll auch gelingen, wenn schon die Säulen
schwanken?
Es steht auss
er Frage, dass die Muslime in Europa sich in der gross
en
Mehrheit von den Ereignissen in New York angewidert distanziert haben. Totale,
titanische Kriegsführung ist keine Doktrin des Islam - auch wenn, mit Verlaub,
die Muslime in Tschetschenien und Bosnien eine totale Kriegsführung erleiden
mussten. Das Verhältnis der Muslime Europas zu Christen und Juden ist
entsprechend der Offenbarung geklärt und gut. Das amerikanische Volk ist nicht
der Feind der Muslime. Doch gebietet es auch die intellektuelle Redlichkeit,
sich nicht dem banalen und mittelalterlichen Bild des amerikanischen Präsidenten
zu unterwerfen, hier kämpfe "Das Gute" gegen "Das Böse".
Die Fakten sind nach wie vor bitter. Der entfesselte Kapitalismus und die
Irrationalität der Börsen hat Millionen Menschen der Existenzgrundlagen
beraubt. In dieser Landschaft entsteht der politische Wahnsinn. Die Muslime
werden heute existentiell bedrängt von den Interessen der globalen Finanz- und
Erdölindustrie. Will man dies ändern, sind nun weniger Militärschläge und
Vasallentreue, sondern vielmehr eine denkerische Zäsur von Nöten.
In den USA schreit man, nachdem der erste Schock sich gelegt hat, nach
einfachen Lösungen und Losungen. Das kann man menschlich verstehen. Um so
wichtiger ist die Rolle Europas. Was denken sie also, die freien Europäer? Ist
es "gut" gegen "böse" oder Finanztechnik gegen alle? Ist
der Islam gefährlich, weil er der totalen ökonomischen Vernutzung des Planeten
im Wege steht? Wem nutzt diese Art Terrorismus? Fällt ihnen auf, dass fast alle
arabischen Staaten von westlichen Despoten geführt werden? Hinterfragen sie das
merkwürdige Bündnis der USA mit Saudi-Arabien und das Bündnis Saudi-Arabiens
mit den Taliban? Tolerieren sie als Zivilisierte weiter Präsident Putin und die
chinesische Führung (und ist es ihnen verdächtig, wenn diese nun für die
Werte des humanistischen Abendlands sprechen?)? Erkennen sie die verheerenden
und destruktiven Folgen der ökonomischen Verhältnisse für die arabischen Völker?
Wundern sie sich über die Irrationalität der Börsen und Verschuldungspolitik?
Teilen sie die Furcht des Aristoteles vor der zersetzenden Wirkung des Wuchers?
Sind Sie einverstanden, dass nur wenige hundert Familien mehr besitzen, als die
Hälfte der Menschheit? Sehen sie in IWF und Weltbank die Instrumente einer
Demokratisierung der Welt? Wann? Erkennen Sie noch, dass der Islam eine auf
Einheit gegründete, balancierende Lebenspraxis ist?
Das 21.Jahrhundert wird kein politisches Zeitalter. Im Medien- und
Kommunikationszeitalter
präsentiert sich der Kapitalismus auch zunehmend mit religiösem Unterton und
mit "letzten, heiligen" Werten. Der Glaube an dieses System ist vor
allem dort stark, wo es ökonomisch gut geht. In vielen Erdteilen schwindet
angesichts verheerender ökonomischer Umstände der Glaube der Menschen an den
guten "Kapitalismus". Es ist die Geschichte des politischen
Terrorismus, dass es herrschende Systeme totaler gemacht hat. Der Islam ist
daher gefordert seine ökonomischen Alternativen offenzulegen.
Abu Bakr Rieger
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