Bushs Kriegsrede Donnernde Rhetorik und bange Frage
Martin Schwarz (Freitag, 21. September 2001 /1422)
Im Beisein des britischen notorischen
Kriegstreibers Blair hat US-Präsident Georg W. Bush heute nacht eine
von Pathos triefende Rede gehalten, die - wie der ORF-Kommentator
treffend sagte - "so nur in Amerika gehalten werden kann" und die
US-"Volksvertreter" nach jedem zweiten Satz zu hysterischen "standing
ovations" animierte. Als Folge dieser Rede sind heute die
europäischen Aktienkurse eingebrochen, zeitweise befinden sie sich
im "freien Fall". Nicht jeder beweist eben soviel "Standvermögen"
wie die Redenschreiberin des US-Präsidenten. Die USA erklären der
Welt den Krieg, soviel steht fest. Jede Rechtstaatlichkeit, jedes
Völkerrecht wird ausgehebelt, wenn die USA jemanden "dead or alive"
zur Fahndung ausschreiben - wer fragt da kleinlich nach Beweisen?
Der Kreuzzug des US-Präsidenten hat nur einen Haken: er wird dort
enden, wo bereits die Sowjetarmee gescheitert ist: in Afghanistan.
Das erste was der Rundumschlag gegen "Terrornester" erreichen wird,
ist eine Destabilisierung Pakistans. Die Hindufanatiker Indiens
warten schon darauf, schliess
lich hoffen sie Beute - Kashmir -
endlich ins Trockene bringen zu können. Zu diesem Zweck
unterstützen sie auch die "Nordallianz" Afghanistans. Das
strategische Ziel der USA an der Südflanke der GUS massiv präsent zu
sein, wird zwar erreicht werden, doch rundherum wird ihnen alles um
die Ohren fliegen. Nicht nur in den Augen der Taliban, eine Art
auss
erirdischer Menschenfresser, die plötzlich aus dem Nichts und aus
purer Bosheit ein Regime errichtet haben, das der US-Präsident mit
dem "Nazismus" verglichen hat, sondern in den Augen jeden Moslems
ist ein Angriff von Ungläubigen auf ein Islamisches Land - welcher
sektenhaften Abweichung auch immer - ein Angriff auf die muslimische
Welt. Der "heilige Krieg" - Jihad - um den in den Medien jetzt
soviel Wind gemacht wird, muss daher nicht von fanatischen Mullahs
ausgerufen werden, sondern er versteht sich von selbst. Das Regime
der Taliban wurde von uns, wie auch vom überwiegenden Teil der
muslimischen Welt, wiederholt scharf kritisiert. Jedoch bleibt
festzuhalten, dass in der momentanen Situation die Taliban das
Rechtsstaatsprinzip vertreten und die USA das Gesetz des Wilden
Westens. Auch die Tatsache, dass in Kabul Frauen nur verschleiert die
Strassen betreten dürfen - so wie es jahrhundertelang üblich war
-rechtfertigt kein "Eingreifen". Dass in Afghanistan seit drei Jahren
eine durch Trockenheit hervorgerufene Hungersnot wütet, ist Ursache
für das Elend des Grossteils der Bevölkerung, nicht eine falsche
Koranauslegung. Sollten sich die Revisionisten im Iran in dieser
Situation auf die Seite des gross
en Satans stellen, um die Taliban in
Afghanistan wegzubomben und sich damit einer Reihe von Problemen zu
entledigen, die die Taliban dem Iran und den mit ihnen verbündeten
afghanischen Schiiten bereiten, wäre dies ein Verrat an der
muslimischen Welt. Die Klarstellungen des geistlichen Oberhaupts,
Imam Khameini, dürften allerdings eine solche Haltung ausschliess
en,
wie sie offensichtlich von den sogenannten Reformern angestrebt
werden. Es kann jedenfalls kein Zweifel bestehen, dass man auch nicht
klammheimlich sich auf die Seite der USA stellen kann, solange sie
nicht die üblichen juristischen Wege der Terrorismusaufklärung
beschreiten, sondern diese Aktionen als Vorwand zum Durchsetzen
ihrer geopolitischen Ziele benutzen wollen. "Nieder mit den USA!"
ist daher so aktuell und richtig wie vor dem Fall der babylonischen
Türme. Bushs donnernde Rhetorik wird nicht nur an der zerklüfteten
Landschaft Afghanistans zerschellen, sondern auch an anderen
Realitäten. Wie es David Irving bereits vor Bushs Kriegserklärung an
die zivilisierte Welt in seinem Internet-Tagebuch schrieb: "Being at
war is not without its blessings. The question is, given the
possible collapse of the United States' economy, can they now afford
one? Bange Frage, as the Germans say."
M.S.
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