Beginn des Fastenmonats
Ramaḍaan
Saudi-Arabien gegen
den Rest | Christian Luenen
© Qantara.de 2006 |
Die Bestimmung des exakten Zeitpunkts für Beginn und Ende des
Islamischen Fastenmonats Ramaḍaan ist immer wieder Anlass für Verwirrung
und Streit in der Islamischen Welt. Warum das so ist, versucht Christian
Luenen zu erklären.
Lange vor dem Beginn des Islamischen Fastenmonats Ramaḍaan
disputieren muslimische Gelehrte aus aller Welt darüber, welches die
korrekte Methode ist, die Sichel des entstehenden Mondes zu sichten.
Um das Probleme des genauen Beginns eines jeden Islamischen Monats -
einschliess
lich Ramaḍaan - besser verstehen zu können, ist es
unerlässlich, die Verflechtung mit der Thematik der Hermeneutik der
Scharia sowie der Machtverhältnisse zwischen verschiedenen
Organisationen, Regierungen und muslimischen Gelehrten im Allgemeinen zu
verstehen.
Der Halbmond im Islamischen Recht
Die einzige Vorraussetzung, die der Koran vorgibt ist, dass, der Monat
Ramaḍaan mit dem Sichten des neuen Halbmondes eingeleitet wird. Bis jetzt
waren sich die meisten muslimischen Gelehrten darin einig, dass die
physische Sichtung des Mondes unerlässlich sei, insbesondere da in einem
viel zitierten Ausspruch des Propheten (Hadiith) das Wort ru'ya verwendet
wurde, welches spezifisch auf das Sichten des Mondes mit blossem Auge
verweist.
Muslime sind also weltweit angehalten,
am 29. Tag eines jeden Monats auf die Sichtbarkeit des neuen Halbmondes
zu achten und alle Informationen darüber an die zuständigen Stellen
weiterzuleiten. Wenn am 29. Tag eines Monats der Halbmond jedoch noch
nicht sichtbar ist, muss die Vollendung des 30-Tage-Zyklusses abgewartet
und der neue Monat am nächsten Tag begonnen werden.
In den letzten Jahren haben jedoch astronomische Methoden und
Berechnungen zur Bestimmung des neuen Monats an Gewicht gewonnen und
werden von vielen Gelehrten, Organisationen und Staaten zur
Unterstützung und Verifikation der physischen Sichtungen herangezogen.
Astronomische Berechnungen
Moderne astronomische Berechnungen können den exakten Zeitpunkt der
Konjunktion des Neumondes - wenn der Mond in einem Winkel von 0° zur
Sonne steht und somit nicht sichtbar ist - für viele Jahre im Voraus
genau bestimmen.
Die tatsächliche Sichtbarkeit des entstehenden Halbmonds (der erst nach
mindestens 13.5 Stunden und wenn der Mond sich in einem Winkel von
mindestens 7.2° - 8.5° zur Sonne verhält mit Hilfe eines Teleskops
sichtbar wird) ist natürlich viel schwerer exakt zu bestimmen, da dies
zusätzlich von Faktoren wie Zeitverschiebung, atmosphärischer
Verschmutzung sowie Wetter- und Witterungsbedingungen abhängt.
Bis jetzt hat die gross
e Korrektheit solcher Prognosen noch nicht dazu
geführt, dass alle muslimischen Gelehrten diese mathematische Variante
anerkennen und das Kriterium des physischen Sichtens fallen lassen. Die
folgenden drei Positionen haben die Debatte bisher dominiert:
• Die erste Position lehnt die Anwendung astronomischer Berechnungen
vehement ab und richtet sich nur nach dem Kriterium des physischen
Sichtens;
• Die zweite Position erlaubt die Anwendung der astronomischen Vorgaben,
um Richtlinien für die physische Sichtung zu schaffen und die Resultate
der Sichtungen entweder verifizieren oder ablehnen zu können;
• Die dritte Position vertritt den Standpunkt, dass astronomische
Berechnungen und empirische Daten alleine ausreichend seien, um die
Sichtbarkeit des entstehenden Halbmonds festzustellen.
Ferner müssen die folgenden zwei Positionen des Islamischen Rechts (figh)
berücksichtigt werden, um die Vielfältigkeit der verschiedenen Meinungen
und Methoden zu verstehen:
• Das Prinzip der globalen Sichtung: Wenn irgendwo auf der Welt der
Halbmond gesichtet werden konnte, ist dies für alle Muslime weltweit
verpflichtend. Das Fasten beginnt am nächsten Morgen.
• Das Prinzip der lokalen Sichtung: Aufgrund hemisphärischer und
geographischer Unterschiede sollte jede Gemeinschaft oder
zusammenhängende Region sich nach ihren eigenen Sichtungen richten und
den Ramaḍaan entsprechend beginnen und beenden.
In der Praxis haben sich unterschiedliche Varianten und Kombinationen
aus den oben genannten Meinungen und Kriterien ergeben. Oft waren aber
die Positionen der verschiedenen Autoritäten der Islamischen Welt –
offizielle Haltung der Nationalstaaten, verschiedene Organisationen,
muslimische Gelehrte - ausschlaggebend für die Entscheidung der meisten
Muslime.
Saudi-Arabiens Führungsrolle
Da Saudi-Arabien aufgrund seiner Rolle als Geburtsort des Islam und als
Hüter der beiden heiligsten Städte des Islam hohes Prestige geniesst,
folgen viele Muslime weltweit dem saudi-arabischen Beispiel.
Renommierte muslimische Astronomen behaupten jedoch, dass Saudi-Arabiens
Entscheidungen über den Beginn Ramaḍaans seit Jahren falsch seien. Sogar
einige saudi-arabische Rechtsgelehrte, wie Sheikh Al-Othaimeen, haben
deshalb die Anwendung des Prinzips der lokalen Sichtung für Muslime
auss
erhalb des Königreiches befürwortet, um Verwirrung zu vermeiden.
Saudi-Arabien stützt sich dabei auf seinen Umm-ul-Qura-Kalender, der
zwar ein Mondkalender ist, nicht aber ein Islamischer und sich nicht
nach der physischen Sichtung des Mondes richtet, sondern auf der
Konjunktion beRuuhht und mathematisch voraus berechnet wird.
Er ist deshalb nur für die zivile Nutzung gedacht und nicht für die
Bestimmung religiöser Feiertage oder des Fastenmonats, was von
saudi-arabischer Seite auch nicht bestritten wird.
Obwohl die saudi-arabischen Behörden auch schon vor Jahren eigene
Mondsichtungs-Komitees ins Leben riefen, die sich aus Rechtsgelehrten,
Astronomen sowie Laien zusammensetzen und überall im Land verteilt am
29. Tag des Monats vor Ramaḍaan nach dem entstehenden Halbmond Ausschau
halten (da sie sich offiziell dem Prinzip der lokalen Sichtung des
Halbmonds mit blossem Auge verpflichtet haben), haben die
saudi-arabischen Behörden die Entscheidungen des Komitees oftmals
ignoriert.
Stattdessen stützten sie sich auf Aussagen aus dem Volk, auch wenn diese
astronomisch nicht haltbar waren, um den Beginn des Ramaḍaan entsprechend
des zivilen Umm-ul-Qura-Kalenders ausrufen zu können.
Daher hätten sie Ramaḍaan manchmal sogar bis zu zwei Tage vor einer
tatsächlich möglichen Sichtung des Halbmonds begonnen, schreibt Khalid
Shaukat, ein dem "International Crescent Observation Project" (ICOP)
nahe stehender Astronom, der auch als freier Berater der "Islamic
Society of North America" (ISNA) tätig ist.
Die verlässlichsten astronomischen Daten über eine mögliche Sichtbarkeit
des entstehenden Halbmonds kommen vom ICOP, einem Komitee der Jordan
Astronomical Society (JAS) sowie dem Moonsighting Committee Worldwide (MCW).
Besonders die einschlägige und ausgiebige Recherche von Experten wie
Mohammad Odeh aus Jordanien, Dr. Monzur Ahmed aus Grossbritannien, Kahlid
Shaukat aus den USA oder von Diplom-Ingenieur Gerhard Ahmad Kaufmann aus
Deutschland, die alle Mitglieder des ICOP sind, dienen all jenen
Gelehrten und Organisationen, die astronomische Berechnungen nutzen oder
sich vollends auf diese verlassen.
Ramaḍaan in Deutschland
Wie viele Islamische Länder haben sich auch in Deutschland viele
örtliche Moscheevereine und Organisationen dem Vorbild Saudi-Arabiens
untergeordnet und deshalb den Beginn des diesjährigen Ramaḍaans für den
23. September festgesetzt. Saudi Arabien hatte, sich auf eine -
astronomisch unmögliche - Sichtung des Vorabends berufend, den Beginn
des Fastenmonats Ramaḍaan am Vorabend ausgerufen.
Der DIWAN (Deutscher Islam-Wissenschaftlicher Ausschuss der Neumonde)
vom deutschen "Zentralrat der Muslime" legte den Ramaḍaanbeginn für
Sonntag, den 24. September fest - genau wie der Europäische Rat für
Fatwa und Forschung, dem der Rechtsgelehrte Yusuf al-Qaradawi vorsteht.
Dem Vorbild von DIWAN folgten dann die gröss
ten deutschen
muslimischen Gemeinden sowie die Mitgliedsorganisationen des DIWAN, u.a.
auch die "Islamischen Zentren" in Aachen und München. Die Entscheidung
des DIWAN basierte, den Informationen von Ahmad Kaufmann zufolge, auf
einer Kombination von astronomischer Berechnung und dem Prinzip der
globalen Sichtung, demzufolge es am Samstagabend des 23. September in
einigen Teilen der Welt möglich war, den entstehenden Halbmond zu
erkennen.
Ahmad Kaufmann hat stattdessen das Prinzip der lokalen Sichtung dem der
globalen vorgezogen, was den Beginn des Ramaḍaan einen Tag nach hinten
verschoben hätte, also auf den 25. September.
Trotz astronomischer Berechnungen halten die Streitigkeiten über die
korrekte Methode an. Das gröss
te Problem ergibt sich für Muslime die in
nicht-Islamischen Ländern wie den USA oder Europa leben. Diese haben
sich in der Vergangenheit in der Regel dafür entschieden, entweder -
paradoxerweise der Einheit der Muslime willen - Saudi-Arabien zu
folgen oder - aufgrund einer emotionalen Bindung - ihren
Heimatländern (was häufig auf die saudi-arabische Berechnung
hinausläuft), oder aber sich an den in ihrem Land existierenden
Organisationen orientieren, die zum Teil versuchen, die Muslime
wenigstens auf nationaler Ebene zu einen.
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