Neulich nach der Nikolaus-Integration
Von Yavuz Özoguz am 10. Dezember 2009
Am Montag nach Nikolaus (der. 6. Dezember fiel dieses Jahr auf einen
Sonntag) kam ich ins Büro und fand im Flur einige dieser Schokoladenmännchen
in rot-weiss
em Glitzerpaper eingepackt, die zu Ostern auch als Hasen verteilt
werden. Als ich mittags in die Mensa ging, um mein vegetarisches Essen zu
holen, gab es noch einen Glitzerschokomann als Geschenk. Alle Schenkenden
waren wirklich guten Herzens und wollten die Tradition aufrecht erhalten,
aber kaum jemand wusste, worum es bei jener Tradition eigentlich ging.
Muslime sollen – wie bekannt – in die Gesellschaft “integriert“ werden.
Gerade einen Tag nach Nikolaus habe ich mich das mehr denn je gefragt, was
damit gemeint ist. Ja, wir hatten tags zuvor einige Süssigkeiten, falls ein
Kind an der Tür geklingelt hätte. Aber es werden immer weniger Kinder, die
das tun. Und ein Gedicht können die auch nicht mehr aufsagen. Bestenfalls
sagen sie: „Süsses oder saures!“ Aber das hat bekanntlich wenig mit dem
Nikolaus zu tun. Es ist viel mehr die Integration eines kapitalistischen
Feiertages in die angeblich christlich geprägte Gesellschaft. Wie viele
ältere Bürger haben wohl an jenem Sonntag sehnsüchtig darauf gewartet, dass
doch irgend ein kleiner Bub oder Mädel an der Tür klingelt und ein
Weihnachtsgedicht aufsagt, um sie dann zu beschenken? Stattdessen gab es
Schokolade in Bürogebäuden und in der Mensa von den jeweiligen Verwaltungen
an die Erwachsenen. Aber kaum ein Mensch weiss
, was es eigentlich mit jenem
Nikolaus auf sich hat. Wie sollen Muslime in eine Gesellschaft integriert
werden, wenn es christliche Feier- und Gedenktage gibt, deren Bedeutung kaum
jemand den Muslimen erklären kann?
Eine historische Person namens Nikolaus, auf den der 6. Dezember zurück
zu führen sei, hat es schliess
lich einstmals gegeben, den Heiligen Nikolaus
von Myra. Zwar sind die meisten Geschichten über ihn Legende, aber er hat im
3. Jahrhundert nach Christi tatsächlich gelebt. Er war bereits mit 19 Jahren
Priester und hat am eigenen Leib als Opfer der Christenverfolgung einiges
Leid miterlebt. Als Sohn reicher Eltern soll er sein ererbtes Vermögen unter
den Armen verteilt haben, was der Hauptgrund für seine Ehrung ist. Wäre das
nicht ein integrativer Ansatz für Muslime? Die Reichen sollen ihr Vermögen
den Armen zur Verfügung stellen, damit mehr soziale Gerechtigkeit in der
Gesellschaft herrscht. Ist es da nicht fast schon Blasphemie oder zumindest
Heiligenverachtung, wenn auch in den Banken Nikolausschokolade verteilt
wird? Aber wen sollte das stören, wenn niemand weiss
, wessen gedacht wird?
Ein bedeutsames Ereignis im Leben des Nikolaus dürfte seine Teilnahme am
Konzil von Nizäa gewesen sein. Aber wer weiss
heute schon noch in der
christlich-jüdisch geprägten Gesellschaft, was das Konzil von Nizäa war? Die
Bild-Zeitung berichtet nicht darüber. Und bei dem Konzil hat jener Nikolaus
– äusserst unchristlich – einen anderen Geistlichen namens Arius geohrfeigt!
Arius vertrat eine Lehre, die ein Muslim sehr gut verstehen könnte. Er
behauptete, dass der Sohn und der Vater nicht wesensgleich seien, sondern
der Sohn ein Geschöpf des Vaters sei, so dass es eine Zeit gegeben habe, als
der Sohn nicht existierte. Arius vertrat die Lehre, dass es nur einen wahren
Gott gebe und dass Jesus, der Sohn der Heiligen Maria, ein besonders
ausgezeichnetes Geschöpf sei. Wäre das nicht ein wunderbarer Ansatz, um
Muslime in die christlich-jüdische Gesellschaft zu integrieren? Welcher
Muslim könnte Arius Aussage widersprechen, eine immerhin im zweiten
Jahrhundert der Christenheit durchaus verbreitete Ansicht unter Christen,
aber es gab auch die Gegenansicht. Jener Streit unter den Christen führte
nahezu zur Spaltung der Christenheit und daher berief Kaiser Konstantin das
erste Konzil von Nicäa 325 ein, wo die Lehre des Arius von der Mehrheit der
Bischöfe als häretisch verurteilt wurde. Vielmehr stellten sie fest, dass
Vater und Sohn gleichen Wesens seien. Arius selbst wurde verbannt und später
vergiftet.
Nun hatte ausgerechnet der Heilige Nikolaus jenen Arius beim Konzil von
Nizäa geohrfeigt! Wer jetzt aber denkt, dass der Disput zwischen Nikolaus
und Arius aufgrund der Wesensgleichheitstheorie gewesen wäre, der irrt sich.
Neben Arius hat auch Nikolaus das Schlussdokument des Konzils von Nizäa
nicht unterschrieben! Heutige Chronisten “retten“ das Ansehen von Nikolaus
damit, dass sie behaupten, die Unterschriftenliste sei nicht vollständig
überliefert. Es liegt aber nahe, dass Nikolaus jene Erklärung tatsächlich
nicht unterschrieben hat (einmal abgesehen davon, dass überzeugte Christen
sich nicht von einem weltlichen Gewaltherrscher zusammentrommeln lassen).
Denn Nikolaus vertrat die Thesen von Marcellus von Ancyra, der ebenfalls bei
jenem Konzil anwesend war. Marcellus von Ancyra wurde 336 wegen seiner
Thesen als Ketzer verdammt. Zweifelsohne stand auch er der
Dreifaltigkeitstheorie kritisch gegenüber!
Am 6. Dezember gedenken wir in Deutschland also einer Person, die beim
Konzil von Nizäa, in der erstmalig die Dreieinigkeitsdoktrin unter
Schirmherrschaft der weltlichen Gewaltherrscher festgelegt wurde, eine
Gegenposition vertreten hat und zudem dafür bekannt ist, dass er seinen
Reichtum an Arme verschenkt hat. Wäre das nicht ein sensationeller Ansatz
zur “Integration“ von Muslimen in die Gesellschaft? Müsste man nicht den
Nikolaustag zum Tag der Verbrüderung von Christen und Muslimen erklären?
Jedoch hätte das zur Voraussetzung, dass Christen wissen, um was es am
Nikolaustag geht. Ist das aber überhaupt erwünscht? Wollen die
kapitalistischen Machthaber, die im Wachstumswahn sämtliche christlichen
Werte mit Füssen treten, überhaupt, dass die christlich-jüdische geprägte
Gesellschaft weiss
, was für Feiertage sie begeht? Ist es erwünscht, dass
Christen zu Weihnachten daran denken, wer da geboren ist, und wie er geboren
ist, und wo er geboren ist? Jemand könnte auf die “dumme“ Idee kommen
nachzufragen, wie es seinem Geburtsort heute geht? Und sollen Christen z.B.
wirklich am Aschermittwoch darüber nachdenken, dass nicht die Ehebruchsaison
beendet, sondern die Fastenzeit der Christen eingeläutet wird? Überhaupt,
wer weiss
denn noch, dass die Fastenzeit kein Monopol der Muslime ist. Laden
Christen ihre muslimischen Mitbürger in der Fastenzeit zum gemeinsamen
Fastenabendbrot ein? Wäre das nicht ein schöner Ansatz zur Integration?
Stellt sich nur die Frage, wer da wen in was integriert? Ist es nicht eher
so, dass Muslime in Deutschland eine Chance für Christen sind, sich in ihre
eigene Religion zu integrieren.
Auch zu Pfingsten könnte man gemeinsam über den Heiligen Geist sprechen,
kommt doch der Begriff explizit im Heiligen Qur´an vor. Wäre das nicht ein
wunderbarer Ansatz zur Integration? Dazu müssten Christen aber zunächst
wissen, was Pfingsten ist.
Zurück zu Weihnachten. Es mag in Deutschland, Österreich und der Schweiz
merkwürdig anmuten, aber Jesus und Maria waren tatsächlich keine Deutschen;
nicht einmal Europäer! Gemäss biblischer Geschichte waren sie zudem “Migranten“.
Ein in allen Kirchen verehrter Migrant, wäre das nicht ein Ansatz zur
“Integration“. Dazu müssten Christen aber die Geschichte zu Weihnachten
kennen, auch mit aktuellem Bezug. Doch die meisten kennen nur den
Konsumrausch, ohne zu wissen, was Jesus einstmals mit den Händlern im Tempel
gemacht hat. Sie müssten wissen, was es mit dem Weihnachtsbaum, diesem
modernen Götzen der Geschenkausspuckmentalität auf sich hat, denn dort, wo
Jesus gelebt hat, gab es keine solchen Bäume. Sie müssten wissen, warum (und
wann) ein Weihnachtsmann erfunden wurde und wie jene merkwürdige Gestalt im
Bekanntheitsgrad sogar Jesus und Maria verdrängen konnte. Warum fragt man
Kinder eigentlich „Glaubst Du an den Weihnachtsmann“ und bringt ihm nicht
den wahren Glauben bei? Wäre hier nicht ein wunderbarer Ansatz dafür
gegeben, Muslime zu integrieren? schliess
lich kennen praktizierende Muslime
die Geschichte Marias und Jesu, selbst wenn sie sich in einigen Details
unterscheidet vom Christentum. Sie ist aber immer noch “christlicher“ als
das, was man z.Z. aus dem Advent gemacht hat.
Was viele Zwangsassimilierer vergessen haben (oder nie wussten), ist die
Tatsache, das gerade der Advent eine der besten Voraussetzungen für
“Integration“ birgt. Advent – vom Latainischen “adventus“, was “Ankunft“
heisst – bezeichnet die Jahreszeit, in der sich die Christenheit sich auf die
“Ankunft“ des Erlösers vorbereitet. Warten wir nicht alle gemeinsam auf
einen Erlöser? Zudem warten Muslime neben ihrem Erlöser Mahdi, auch auf die
Rückkehr Jesu. Wäre die Adventszeit nicht eine wunderbare Gelegenheit zur
Verbrüderung in der konstruktiven Erwartung? Aber Advent in Deutschland ist
nur noch eine andere Bezeichnung für verkaufsoffene Wochenenden mit Glühwein
in der Innenstatt. Sehr “besinnlich“ wirkt die Atmosphäre mit den
Lichterketten und dem Kerzenduft, aber was ist eigentlich der Inhalt der
“Besinnung“ auss
er dem Kaufrausch?
Muslime können sich hervorragend in eine christliche Gesellschaft
integrieren! Und überzeugte Christen werden praktizierende Muslime niemals
als Bedrohung empfinden, sind doch die Gemeinsamkeiten viel gröss
er, als das
zweifelsohne bestehende Trennende. Aber eine Gesellschaft, die im
missbrauchtem Namen des Christentums den Bullen und Bären frönt, sich vor
Freiheitsstatuen verneigt und vor der Macht der Mächtigen niederwirft, eine
Gesellschaft, in der die “Selbst“verwirklichung über dem Gemeinwohl steht,
solch eine Gesellschaft wird Muslime stets als Bedrohung empfinden, da jene
Muslime an ihr christlich-jüdisches Erbe erinnern und den Götzendienst
ablehnen.
So esse ich nach meiner Mittagspause jenen Schokoladen-Nikolaus, der auch
ein Osterhase sein könnte, denke über diese heilige Zeit der Christenheit
nach, und bin traurig über das, was man mit den Christen macht. Meine
Gedanken kreisen um die Integration. Und ich komme zu dem Schluss, dass es
die praktizierenden Muslime im Land sind, die den verbliebenen Christen die
Chance geben, sich zu integrieren. Aber wer würde mir das glauben?
Ich wünsche allen Christen eine gesegnete Adventszeit und eine echte
Annäherung an Jesus und Maria. Möglicherweise kann das Kopftuch auf der
Strasse sie ja an die Heilige Maria erinnern. Und dann bitte ich in aller
Höflichkeit: Bitte denken Sie einmal darüber nach, wer und warum jenes
Kopftuch herunterreissen will; nicht nur von der Muslima, sondern auch von
Maria. |