Da man nicht in das Herz des anderen sehen kann, muss man sich beim Urteilen jeweils mit dem Äußeren, also mit Worten und anderen Handlungen begnügen. Einen Muslim - also jemanden der sich zum Islam bekennt - als Ungläubigen (Kafir) zu bezeichnen bedarf daher einer starker Begründung. Umgekehrt wenn ein Muslim Unglauben (Kufr) als Islam gelten lässt, so verlässt er dadurch selbst den Islam. Ist die Situation eindeutig, also wenn ein geistig gesunder, erwachsener "Muslim" z.B. sagt: "Das fünfmalige Ritualgebet (Ssalaah) ist in seiner überlieferten Form keine Pflicht für mich", oder "das, was der Gesandte Allahs gesagt hat, das geht mich nichts an", dann ist es - nach Vergewisserung ob er auch meint was er sagt und bei Sinnen ist - eine Pflicht, ihn als Ungläubigen zu betrachten, andernfalls man selbst zum Kafir wird. Schwieriger wird eine Beurteilung wenn es sich um indirekte Leugnungen des Islam handelt. Wenn etwa jemand behauptet: "Allah kann in dieser Welt nicht gerecht sein", oder "Allah hat zwei Hände", oder ".... das ist nur zufällig passiert" usf.. Wenngleich solche Behauptungen inhaltlich Kufr bedeuten, so bleibt es vorerst unsicher, was der Betroffene damit gemeint hat, ob es sich vielleicht um unbedachtes Nachplappern, ein sprachliches Missgeschick oder Unbedachtheit handelt. (Muhammad Abu Bakr Müller)
عن ابن عمر رضي الله تعالى عنهما أ ان رسول الله صلى الله عليه وسلم قال: أ ايما امرئ قال لأأخيه يا كافر فقد باء بها اأحدهما اإن كان كما قال و إ الأ رجعت عليه Ibn ‘Umar - möge der Erhabene mit ihm zufrieden sein - berichtete, dass der Gesandt Allahs - salla Allahu ‘alayhi wa sallam - gesagt hat: „Wer zu seinem Bruder sagt: Oh Ungläubiger!, so trifft es auf einen von beiden zu. Entweder ist er, wie er sagt, oder es kehrt auf ihn zurück.“ (al-Buchaari und Muslim)
Die Frage des Takfir (jemanden zum Kafir zu erklären) ist eine äußerst heikle Angelegenheit und sollte mit äußerster Vorsicht angegangen werden.
Es ist eine schwere Sünde, einen Muslim zum Kafir (Ungläubigen) oder Murtad (Abtrünnigen) zu erklären. Im Heiligen Qur'an heißt es:
Es wird von Ibn 'Umar (R) berichtet, dass der Gesandte Allahs (sallallahu `alayhi wa sallam) sagte: Jeder, der seinen Bruder Kafir nennt: der hat [in der Tat eine Handlung begangen, durch die] einer von ihnen mit ihr zurückgekehrt ist. Wenn es so wäre, wie er behauptet hat, [dann ist der Unglaube bestätigt worden], wenn es aber nicht wahr ist, dann ist er zu ihm zurückgekehrt [der seinen Bruder als Muslim bezeichnet hat]. Sahhi Muslim
Genauso wie es jedoch eine schwere Sünde ist, einen Muslim zum Kafir oder Abtrünnigen zu erklären, ist es ebenso falsch, einen Kafir als Muslim zu betrachten, ohne die irrigen Überzeugungen, die er haben mag, zu berücksichtigen. Diesbezüglich heißt es im Heiligen Qur'an:
Bevor wir eine direkte Antwort auf Ihre Frage geben, ist es daher wichtig, zunächst die grundlegenden Prinzipien zu erörtern, nach denen jemand, der zuvor Muslim war, als Abtrünniger betrachtet werden kann.
Es gibt zwei grundlegende Möglichkeiten, wie jemand, der zuvor Muslim war, als Abtrünniger betrachtet werden kann: Jemand, der zuvor Muslim war, schwört dem Islam vollständig ab [ والعياذ بالله ] und nimmt eine andere Religion wie das Christentum, das Judentum, den Buddhismus usw. an oder leugnet die Existenz Allahs (SWT) vollständig oder das Konzept des Tawhid oder leugnet das Prophetentum von Rasulullaah sallallahu `alayhi wa sallam.Eine solche Person ist zweifelsohne ein Abtrünniger.
Auch wenn jemand, der zuvor Muslim war, den Islam aufgibt und eine andere Religion annimmt und die Existenz Allahs (SWT) oder das Konzept des Tawhid oder das Prophetentum von Rasulullaah - sallallahu `alayhi wa sallam - leugnet, und Überzeugungen annimmt, die auf die Leugnung des Textes des Heiligen Qur'an oder des Prophetentums von Rasulullaah sallallahu `alayhi wa sallam hinauslaufen [so ist er ein Abtrünniger]. Zum Beispiel leugnet eine solche Person eine Anordnung, die durch einen Text des Heiligen Qur'an, der in seiner Bedeutung endgültig ist, oder durch einen endgültigen mutawaatir Hadith von Rasulullaah sallallahu `alayhi wa sallam festgelegt wurde. Eine solche Person wird nach übereinstimmender Auffassung der Muslime ebenfalls als Abtrünniger betrachtet. Um es noch deutlicher zu machen, in letzterem Fall, Abtrünnigkeit liegt nur dann vor, wenn man ein absolutes Gebot ( الحكم القطعى ) leugnet, das durch unzweifelhaft feststehende Beweise قطعى الثبوت (qat'i al- thubut) und unbestreitbar in seiner Aussage قطعى الدلالة (qat'i aldilalah) ist, d.h., es lässt nicht mehr als eine offensichtliche Bedeutung zu. Dies kann entweder durch einen Text des Heiligen Qur'an geschehen, der in seiner Aussage definitiv ist, oder durch einen mutawaatir hadith (prophetische Überlieferung, die uns über unbestreitbar authentische Autoritätsketten übermittelt wurde), der in seiner Aussage definitiv ist. Wenn das Wissen um solche absoluten Gebote in der muslimischen Masse so weit verbreitet ist, dass man keine großen Anstrengungen unternehmen muss, um sie kennenzulernen, wie z. B. die Gebote der Salaah, der Zakaah, der Hadsch und des Fastens, das Verbot des Diebstahls und des Weinkonsums, dann werden solche Gebote als "dharooriyyaat al-deen" (Grundlagen des Glaubens) bezeichnet. Wenn das Wissen über solche Gebote nicht so weit verbreitet ist, werden sie, obwohl sie absolute Gebote sind, nicht als "dharooriyyaat al-deen" (Wesentliches des Glaubens) bezeichnet. Der Unterschied zwischen den beiden Regelungen besteht darin, dass die Leugnung dieser absoluten Gebote, die ebenfalls zu den "dharooriyyaat al-deen" gehören, nach dem Konsens der Muslime sofort zum Abfall führt. Unwissenheit gilt nicht als Entschuldigung, und jede andere abweichende Auslegung ist inakzeptabel. Was die absoluten Injunktionen betrifft, deren Kenntnis unter den muslimischen Massen nicht in dem oben erwähnten Ausmaß verbreitet ist, so macht die Leugnung solcher Injunktionen einen nicht sofort zum Abtrünnigen. Vielmehr wird man darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei der betreffenden Anordnung um eine absolute Anordnung handelt, die aufgrund von Beweisen aufgestellt wurde, die unzweifelhaft feststehen قطعى الثبوت (qat'i al-thubut) und in ihrer Aussage unzweifelhaft sind قطعى الدلالة (qat'i al dilalah). Wenn man dennoch in seiner Leugnung verharrt, wird man als Abtrünniger betrachtet.
قال الإمام المحدث العلامة أنور شاه الكشميرى فى إكفار الملحدين
فى ضروريات الدين: و المراد
Wenn man solche Anordnungen jedoch nicht leugnet, selbst wenn die eigene Praxis gegenteilig ist, wird man zwar als Übertreter betrachtet, aber nicht zum Abtrünnigen erklärt. Kurz gesagt, so wie der Verzicht auf den Islam und die Annahme einer anderen Religion Abtrünnigkeit ist, so ist es auch Abtrünnigkeit, ein absolutes Gebot zu leugnen oder eine Auslegung anzubieten, die im Gegensatz zur etablierten Auslegung steht. Die letztgenannte Form des Glaubensabfalls wird im Koran als Ilhaad bezeichnet:
"Wahrlich, diejenigen, die von Unseren Versen abweichen ( indem sie ihnen selbst angenommene Bedeutungen zuschreiben, die im Gegensatz zu den klaren und ausdrücklichen, von der Umma anerkannten Bedeutungen stehen und die die Absicht des Heiligen Qur'an in seiner Gesamtheit verändern), sind vor Uns nicht verborgen". [41:40]
Die Gelehrten der scholastischen Theologie und Rechtswissenschaft [Kalaam] bezeichnen einen solchen Abfall als baatiniyyah und auch zandaqah, wie es 'Allaamah Sa'd al-Din al-Taftaazaani in Sharh al-Maqaasid getan hat.
Mufti Muhammad Zubair Butt |
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