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Auszug aus dem Buch Die wahre Religion und das Göttliche Buch von
Ahmet Tomor, ins Deutsche übersetzt von Abd al-Hafidh Wentzel.
Muhammad, der letzte Prophet Allahs - Allah
segne ihn und
schenke ihm Frieden - wurde in Mekkah geboren. Als er vierzig
Jahre alt war, wurde ihm das Prophetentum verliehen. Danach lebte er
dreizehn Jahre in Mekka und zehn Jahre in Medina, so dass sein
Prophetentum über einen Zeitraum von dreiundzwanzig Jahren
andauerte. Die ersten Verse des Qur’ān, des letzten göttlichen
Buches, wurden ihm auf dem ‘Berg des Lichts’ [jabal al-nūr]
geoffenbart. Nach dreiundzwanzig Jahren endete die Offenbarung des
Qur’ān.
Da der Qur’ān das letzte göttliche Buch ist, sollte es nicht
verwundern, dass sich seine Eigenschaften von denen früherer Bücher
unterscheiden. Eine dieser speziellen Eigenschaften besteht darin,
dass der Qur’ān unter dem besonderen Schutz Allahs steht. Allah
sagt
diesbezüglich:
"Wahrlich, Wir haben die Ermahnung offenbart und wahrlich, Wir
werden ihr Hüter sein!"
(Qur’ān, 15:9)
Weil der Qur’ān unter göttlichem Schutz steht, wird er nicht
verfälscht werden, keines seiner Worte wird verändert werden, und er
wird bis zum Jüngsten Tage in der Sprache, in der er dem Propheten
Muhammad – Segen und Friede seien auf ihm – offenbart wurde, in
seiner ursprünglichen Form fortbestehen und Gültigkeit besitzen.
Die Feindseligkeiten gegen den Qur’ān, die schon mit Abū Jahl (‘Amr
Abū al-Hakam, genannt Abū Jahl [Vater der Unwissenheit], war ein
Stammesführer der Quraysch und ein erbitterter Feind des Islam.)
ihren Anfang nahmen, haben sich zu manchen Zeiten bis hin zu
Staatsterror ausgeweitet. Dennoch war niemand in der Lage, auch nur
ein Wort des Qur’ān zu ändern, wie wir nachfolgend aufzeigen werden.
Während die Feinde des Qur’ān unter der Erde verwesen, steht der
Qur’ān kerzengerade da, wie vor über 1400 Jahren.
Eine weitere Eigenart des Qur’ān besteht darin, dass dieser – im
Gegensatz zu früheren göttlichen Büchern, die ihren Verkündern in
einem Stück o%enbart wurden – dem Propheten über einen Zeitraum von
dreiundzwanzig Jahren verteilt, in Einzelteilen, das heisst, in Form
von kurzen Suren sowie einzelnen Versen [āya], o%enbart wurde. Diese
Offenbarungen liess der Prophet Muhammad – Segen und Friede seien auf
ihm – innerhalb kurzer Zeit von den Schreibern der Offenbarung
festhalten, während er sie denen, die um ihn waren, Vers für Vers,
Wort für Wort, vortrug, wobei er im Allgemeinen
jeden Vers drei Mal wiederholte.
Diejenigen, welche die neu offenbarten Verse vom Propheten gehört
hatten, verbreiteten das, was sie soeben gelernt hatten, weiter und
überbrachten denen, die nicht dabei gewesen waren, die Botschaft.
Die des Lesens und Schreibens Kundigen unter ihnen lernten die neu
offenbarten Verse von ihren Niederschriften auswendig, während die
Analphabeten sie durch Zuhören lernten. Die Offenbarung des Qur’ān
in kurzen Abschnitten wie Versen und Suren über einen langen
Zeitraum von dreiundzwanzig Jahren stellte sicher, dass jeder Vers
niedergeschrieben, auswendig gelernt, verstanden und im täglichen
Leben praktisch angewandt wurde. Auf diese Weise wurde das Leben der
Muslime Schritt für Schritt der Botschaft
und den Lehren des Qur’ān angepasst.
Auch ein Vergessen der Verse des Qur’ān war unmöglich, da diese
durch Rezitation während der fünf täglichen Gebete ständig
wiederholt wurden. So wurde der Qur’ān zu einem festen Bestandteil
des täglichen Lebens der Muslime. Alle Bereiche ihres individuellen
und gesellschaftlichen Lebens, selbst die Art und Weise wie sie
assen, tranken, heirateten und ihre Erbschaftsangelegenheiten
regelten, richteten sich nach dem Qur’ān. Sogar die Kinder, die auf
der Strasse spielten, ermahnten ihre Spielkameraden, wenn diese
ungezogen waren, mit den Versen des Qur’ān.
Der Prophet Muammad – Allahs segne ihn und schenke ihm Frieden –
praktizierte den Qur’ān in seinem täglichen Leben, liess ihn
niederschreiben und Wort für Wort auswendig lernen. Er verkündete
dessen Botschaft durch die tägliche Rezitation im Morgen-, Abend und
Nachtgebet, im Freitagsgottesdienst und den Festtagsgebeten. In
seiner Abschiedspredigt auf der Pilgerfahrt rief er seine Gefährten
zu Zeugen auf, indem er sie dreimal fragte: „Habe ich die Botschaft
überbracht?“ worauf die Gefährten mit „Ja, das hast du, O Gesandter
Allahs!“ antworteten. Da hob er seine Hände gen Himmel und rief: „Sei
Du Zeuge, O mein Herr!“
Nachdem er von der Pilgerfahrt zurückgekehrt war, erkrankte unser
geliebter Prophet – auf ihm seien Segen und Friede – und im Monat
Rabi‘ al-Awwal des folgenden Jahres ging er hinüber in die
jenseitige Welt.
Nachdem der letzte Prophet diese vergängliche Welt verlassen hatte
und in die jenseitige Welt eingegangen war, endete das Zeitalter des
Prophetentums auf dieser Erde und das Zeitalter der
Prophetengefährten und ihrer Nachfolger brach an. Ihre Aufgabe
bestand darin, das Islamische Staatswesen zu erhalten und den
kommenden Generationen die Botschaft des Qur’ān und der
Sunna (Mit
Sunna bezeichnet man das beispielhafte Verhalten des Propheten
Muhammad – Allah
segne ihn und schenke ihm Frieden –, das neben dem
Qur’ān als Richtschnur für die Lebensführung der Muslime gilt.) zu
vermitteln.
In jener Zeit wurde der gesamte Qur’ān, dessen Offenbarung kurz vor
dem Tod des Propheten Muhammad – Segen und Friede seien auf ihm –
vollendet war, in Form eines Buches zusammengefasst.
Als während des Kalifats des Abū Bakr – möge Allah
mit ihm zufrieden
sein – im Verlauf der Schlacht von Yamāma siebzig jener
Prophetengefährten umkamen, die den gesamten Qur’ān auswendig
kannten, zeigte sich ‘Umar – möge Allah
mit ihm zufrieden sein –
sehr besorgt über die Zukunft des Qur’ān. Auch wenn zu diesem
Zeitpunkt kein direkter Anlass für solche Befürchtungen bestand, weil
es noch immer Tausende von Prophetengefährten gab, die den Qur’ān
ganz oder teilweise auswendig kannten oder gar zu den Schreibern der
Offenbarung zählten, stellte sich die Frage, was nach deren Tod
geschehen würde. Dies war, was ‘Umar – möge Allah
mit ihm zufrieden
sein – Sorgen bereitete. Denn auch sie würden diese Welt verlassen.
‘Umar suchte den Kalifen Abū Bakr – möge Allah
mit ihnen beiden
zufrieden sein – auf, teilte ihm seine Sorge mit und betonte dabei,
dass er es für dringend notwendig hielt, die Verse und Suren des
Qur’ān in der richtigen Reihenfolge vollständig in Form eines Buches
zu sammeln, solange noch Tausende von Prophetengefährten lebten, die
den Qur’ān ganz oder teilweise auswendig kannten und die Schreiber
der Offenbarung noch unter ihnen weilten.
Der ehrwürdige Abū Bakr teilte ‘Umars Sorge. Auch er hielt es für zu
riskant, diese Aufgabe späteren Generationen zu überlassen. Auch
fürchtete er, als der für die Gemeinschaft Verantwortliche von Allah
zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn er in dieser Situation
nicht handelte. So rief er, nachdem er sich mit einigen der
Prophetengefährten beraten hatte, eine Kommission zusammen und bat
Zayd ibn Thābit – möge Allah
mit ihm zufrieden sein – diese zu
leiten.
Wer war Zayd ibn Thābit?
Zayd ibn Thābit war einer derer, die den gesamten Qur’ān am besten
auswendig kannten und zählte zu den vom Propheten selbst
beauftragten Schreibern der Offenbarung. Er gehörte zu den Helfern [ansār],
jenen Bewohnern von Medina, die einst dem Propheten mit ihrem
Treueeid ihre Unterstützung zugesagt hatten. Zayd war, bereits vor
der Auswanderung [hijra] des Propheten, im Alter von elf Jahren auf
Einladung von Mus‘ab ibn ‘Umayr zum Islam gekommen. Danach war er
stets an Mus‘abs Seite geblieben, hatte die Verse des Qur’ān, die er
von ihm hörte, auswendig gelernt und diese anschliess
end die Kinder
von Medina gelehrt.
Nach der Hijra wurde Zayd, da er eine sehr schöne Handschrift hatte,
zum Schreiber des Propheten – Allahs Segen und Friede seien auf ihm
–, wobei er nicht nur die Offenbarung niederschrieb, sondern auch
die offizielle Korrespondenz des Propheten führte. Denn nachdem der
Islamische Staat politisch an Bedeutung gewonnen hatte und von
mehreren anderen Staaten anerkannt worden war, erhielt der Prophet –
Allah
segne ihn und schenke ihm Frieden – Briefe von Staatsmännern,
die ins Arabische übersetzt und beantwortet werden mussten. Deshalb
bat der Prophet – auf ihm seien Segen und Friede – Zayd, der über
ein hervorragendes Gedächtnis verfügte, Hebräisch und Alt-Syrisch zu
lernen. Zayd sah es als eine heilige P*icht an, dieser Bitte des
Propheten nachzukommen, und lernte beide Sprachen innerhalb kurzer
Zeit so gut, dass er sie lesen und schreiben konnte wie seine
Muttersprache.
Die Kommission
Die von Zayd ibn Thābit geleitete Kommission nahm ihre Tätigkeit
entsprechend den Direktiven des Kalifen auf. Diese besagten:
1. Die Arbeit der Kommission soll öffentlich sein und jedem, der
ihrer Tätigkeit beizuwohnen wünscht, soll dazu Gelegenheit gegeben
werden.
2. Kein Qur’ānvers, den nur eine Person auswendig weiss
, soll
niedergeschrieben werden, ohne dass er schriftlich belegt wäre.
3. Nicht jede Niederschrift eines Verses soll akzeptiert werden,
sondern nur die Niederschrift, für die es mindestens zwei Zeugen
gibt, die bestätigen, dass dieser Vers vom Propheten in ihrer
Gegenwart zur Niederschrift diktiert wurde. Darüber hinaus müssen
die Verse von jenen, die den Qur’ān auswendig kennen, bestätigt
werden.
4. Die Suren sollen in der vom Propheten übermittelten Reihenfolge
und nicht entsprechend der zeitlichen Abfolge ihrer Offenbarung
niedergeschrieben werden.
Nach langer und minutiöser Arbeit beendete die Kommission ihre
spirituell höchst verantwortungsvolle Tätigkeit und die Kompilation
des Qur’ān, des letzten Göttlichen Buches, war abgeschlossen. Die
Seiten wurden gebunden und den Prophetengefährten zur Prüfung
vorgelegt. Nachdem es wieder und wieder gelesen, geprüft und
schliess
lich einstimmig von Tausenden von Prophetengefährten
bestätigt worden war, wurde dieses Buch als ‘Urschrift des Qur’ān’ [umm
al-mushaf] akzeptiert und von Abū Bakr in seiner Eigenschaft als
Kalif in Empfang genommen und verwahrt.
Die Zeit der Herrschaft des dritten Kalifen ‘Uthmān ibn ‘Affān –
möge Allah
mit ihm zufrieden sein – war für das Islamische Reich
eine Periode gross
er Expansion. Der an der Eroberung Aserbaidschans
und Armeniens massgeblich beteiligte Prophetengefährte Hudhayfa
sprach nach seiner Rückkehr nach Medina den Kalifen ‘Uthmān an und
sagte: „Ich schlage vor, Kopien der Urschrift des Qur’ān
anzufertigen und diese in die weit von Medina entfernten Zentren des
Islam, die keinen Zugang zu der Urschrift haben, zu senden, so dass
diejenigen, die dort neu zum Islam gekommen sind, ebenfalls davon
pro(tieren können.“
Daraufhin berief ‘Uthmān erneut eine Kommission unter Leitung von
Zayd ibn Thābit – möge Allah
mit ihnen beiden zufrieden sein – ein,
welche wortgetreue Abschriften des Originals anfertigte, die ‘Uthmān
dann in die Hauptstädte der verschiedenen Provinzen sandte.
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