Sufismus - Meinungen
und Fehlmeinungen
Qaadhi Thanaa' Ullah Panipati
[1731-1810, indischer Gelehrter und Naqschbandi-Schaikh]
Die Einleitung zu seiner Schrift "Irschaad al-Taalibiin" [Anleitung
für Suchende]
Übersetzung:
© Muhammad Yahya Grassl, 1999.
In Allahs
Des Gnädigen, Des Allerbarmers Namen
Was den Zustand von Gottesnähe [wilaayat] betrifft sind Menschen
unterschiedlicher Meinung. Einige leugnen Wilaayat schlichtweg.
Einige sind der Ansicht dass es früher wohl Gottesfreunde [auliyaa]
gegeben habe, in dieser Zeit von Degeneration [fasaad] jedoch seien keine übriggeblieben. Einige geben sich dem
Irrglauben hin, dass Auliyaa unfehlbar seien und über das Wissen
des Verborgenen [`ilm ul ghaib] verfügten; sie meinen, dass alles
was Auliyaa wünschen eintritt, und was Auliyaa nicht wünschen
aufhört zu existieren.
In
dieser Vorstellung begehren sie von den Gräbern der Auliyaa die
Erfüllung der eigenen Wünsche. Wenn sie feststellen, dass lebende
Auliyaa nicht in der Lage sind, ihre Wünsche zu erfüllen, leugnen
sie deren Rang von
Wilaayat [Gottesnähe], womit ihnen die Segensgaben [fuyuud]
der Auliyaa versagt bleiben. Einige Menschen schenken ihr Vertrauen [bai`at]
Ignoranten und Betrügern, die nicht einmal zwischen Islam und Kufr
zu unterscheiden vermögen. Einige Menschen verleugnen die Auliyaa,
und verurteilen sie als Kaafir, aufgrund von Äusserungen im
Ekstasezustand, deren oberflächliche, augenscheinliche Bedeutung nicht
gemeint war. Einige Menschen verstehen in Ekstase gemachte Aussprüche in
einem oberflächlichen Sinn und nehmen sie als Glaubensgrundsätze [`itiqaad], gleich echten Glaubensgrundsätzen, die auf Qur`aan
[Göttliche Offenbarungsschrift], hadiith [prophetische Überlieferung]
und der Übereinkunft der Gemeinschaft der Muslime [idschmaa’]
gründen. Einige Menschen geben sich mit dem Wissen äusserer Formen
zufrieden und vernachlässigen das Streben nach ihrem inneren Sinn [tariqat].
Einige Menschen sind den Auliyaa gegenüber unehrerbietig und
respektieren ihre Rechte nicht. Einige beten die Auliyaa an und schwören
bei ihrem Namen. Wie bei der Ka’ba in Makkah umkreisen [tawwaaf]
sie die Gräber der auliyaa.
Daher hatte ich mir
vorgenommen ein kurzgehaltenes Buch zu verfassen, damit die Leute die
Wirklichkeit von Wilaayat verstehen und sich vor Exzessen und
Fehlern hüten.
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