.

 00174

Afghanistan    Gebiete     

Abendland versus Morgenland

Kerim Stutz schrieb:  Ich hasse, also bin ich | Claudio Lange über die Entstehung des Abendlandes als Gegner des Morgenlandes  http://www.freitag.de/2001/51/01511302.php

 

 

FREITAG: Herr Lange, Sie sind von 1989 bis 1992 durch die  Reemtsma-Stiftung gefordert worden, um drei Jahre lang romanische  Kirchen im Mittelmeerraum zu besuchen. Was haben Sie gefunden? 

 

CLAUDIO LANGE: Ich hatte ein paar Jahre zuvor in alten Kunstbänden  Skulpturen gefunden, die gefesselte Moslems darstellen - Abbildungen aus  Kirchen, die um 1100 gebaut wurden. Als ich dann herumgereist bin in  Südfrankreich, der Gegend des alten Aquitanien und in Italien, da fand ich ein ganzes Figurenensemble, in dem der Islam und die Moslems in  erniedrigender und oft auch obszöner Weise dargestellt waren. Die Christen in Spanien führten damals seit 300 Jahren Krieg gegen die  Araber, Papst Urban II. hatte 995 zum Kreuzzug aufgerufen. Insofern  scheint das nichts Ungewöhnliches zu sein, so geht man halt mit Feinden  um.  Aber die ersten dieser Skulpturen tauchen bereits 60 Jahre vorher auf!  Als die Skulptur selbst noch ein ganz neues Medium war. Die  Darstellungen finden wir an den Kragsteinen, Konsolen, die zum Beispiel  eine Dachkonstruktion stützen. Dort werden die dargestellt, über die man  triumphiert. Und als Feinde, die von Säulen zerquetscht worden sind.  Dazu passt auch die Bedeutung des romanischen Bogens, der ja ein  Triumphbogen ist. Nein - das war ein Propagandafeldzug für den heiligen  Krieg gegen den Islam. Und dieser Propagandafeldzug ist die erste Regung  von etwas, das man später als Europa oder das Abendland bezeichnet.  Papst Urban II. sagt es auch in seinem Aufruf zum ersten Kreuzzug vor  der Kirche Clermont-Ferrand: Man zieht nach Jerusalem, um dem eigenen  Elend und Unfrieden zu entkommen.   Immerhin gab es schon Karl den Grossen, Otto und die Kirche mit ihrem  geistigen Zentrum in Cluny ...  Die Bibliothek von Cluny besass ganze 5.000 Bände, die Bibliothek des  Kalifats Cordoba hatte eine halbe Million! Die Spuren, die Karl der  Grosse und die drei Ottos hinterliess en, zeigen, dass es sich nur um  kleine Höfe handelte, aber nicht um eine Herrschaft, die sich in der  Gesellschaft tatsächlich auswirkte. Das waren Anfänge, die alle  gescheitert sind. Auf dem Gebiet Europas gab es damals drei Herrscher:  Hunger, Mord und Gewalt. Der in Aquitanien im Jahre 1020 ausgerufene  Gottesfriede hätte zum Anfang einer Zivilgesellschaft werden können.  Damit wurde die Kirche ja auch beim Volk sehr populär, indem sie das  Austragen von Privatfehden und das Tragen von Waffen an einigen  Wochentagen verbot. Aber das scheiterte auch. Es gab damals kein Europa,  es gab nur Wälder mit ein paar Slums. Und einige Klöster, in denen nur  wenige Leute lebten, die keine Analphabeten waren.   Also nicht viel mehr als das, was Tacitus 900 Jahre vorher über die  germanischen Stämme aufschrieb. Sahen das die Araber, die ja immerhin  die Iberische Halbinsel besetzt hielten, genauso?  Für die Araber war Europa die Dritte Welt. Ein Land der Barbaren, man  sagte über die Westchristen mit dem Hochmut der Hochkultur, dass "der  kalte europäische Nordwesten die Intelligenz behindere". Alles, was die  Europäer über die Antike wissen, haben sie aus Übersetzungen aus dem  Arabischen. Wir haben zum Beispiel die Aufzeichnungen von Ibrahim Ibn  Jakub, einem jüdisch-arabischen Kaufmann, der nach 950 auch Otto in  Magdeburg besucht. Er hat beschrieben, was Europa damals war: Wald.  Sümpfe. Ein paar Wege und die Anfänge von Städten. So hätte es noch ein  paar Jahrhunderte weitergehen können.   Statt dessen zog man aus, das Grab Christi in Jerusalem zu befreien.  Und mit diesem Feindbild des Islamischen "Heiden" - mit seiner Vielehe  und seinen sehr sinnlichen Versprechungen vom Paradies - entsteht das  Abendland. So schafft die Kirche ziemlich schnell den inneren Frieden in  Europa. Vor allem für die armen Schlucker kommen zwei Dinge zusammen:  Man entflieht dem Hunger und tut beim Plündern seine Christenpflicht. Es  wird bis heute dargestellt, dass der Eremit Peter von Amiens auf einem  Esel durch Europa zog und mit seinen Gräuelmärchen über die Muselmänner  die Leute aufwiegelte. Aber eigentlich musste er nur noch das Zeichen  geben, ihm nach Jerusalem zu folgen - die kirchliche Propagandamaschine  war schon eine Generation zuvor angelaufen. Zu der Zeit, als der  viel zitierte Hilferuf aus Byzanz bei Papst Urban II. auf der Synode in  Piacenza eintrifft, steht die Sache längst fest: Gott will es! Und die  Kirche hat diese innere Einheit sehr nötig. Sie verletzt mit dem Aufruf  zu Krieg ja die Zuständigkeiten der weltlichen Fürsten, eigentlich hat  sie gar nicht die Finanzen, um Byzanz mit Söldnern zu helfen.   Für Peter von Amiens ist der Kreuzzug auch eine ziemliche Katastrophe.  Nun, Peter selbst kommt zwar nicht bis Jerusalem, aber wenigstens noch  zurück. Sein Heer - ein Haufen armer Bauern - war nach schon einem Jahr  so gut wie nicht mehr da. Aber das kam alles später.   Was genau ist auf den Skulpturen zu sehen, die Sie für die Untermauerung  ihrer Theorie anführen?  Das geht von Beischlaf-Darstellungen bis hin zur Onanie und dem obszönen  Herzeigen der Geschlechtsteile. Dabei haben die Moslems als  Charakterisierung oft die Hand auf der Brust für den Islamischen Gruss.  Muezzins, die sich die Ohren zuhalten und von der Hölle verschlungen  werden. Das hat manchmal auch durchaus künstlerischen Witz! Wie zum  Beispiel die Darstellung von drei Moslems, die auf dem "Rosettenstein"  der Abteikirche St. Pierre et Paul, Beaulieu sur Dordogne, Correze, aus  der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu sehen sind: Sie verhöhnen mit  Gesten das christliche Fest der Auferstehung wie es bei den Moslems  üblich ist: Ostern steht er ihnen wieder! Es ist ein ganzer Kanon von  Figuren, der da entstanden ist.   Wie wurde die Anwesenheit dieser Darstellungen denn bis jetzt erklärt?  Als eine Nebensache. Man sagt zum Beispiel von der arabisch-persischen  Portallunette der Kirche in San Pedro de Cervantos, das sei eben der  Einfluss der arabischen Kultur, die Arbeit von arabischen Handwerkern.  Aber die pornographisch - diffamierenden Darstellungen an den Kragsteinen  der Kirche stammen vom selben Künstler! Man sagt auch, diese  Darstellungen wäre einfach apotropäisch - das ist geisterbannend. Oder  sie wären karnevalesk. Oder die Darstellung eines Sündenkatalogs. Das  heisst: Dieses ganze Figurenensemble soll eine Randerscheinung der  sogenannten Romanik in dieser Gegend sein? Betrachtet man sich die  Skulpturen mit dem Blick der Kirchenpropagandisten, dann sieht man: Die  antiIslamischen Darstellungen sind der geistige Hauptinhalt der  Medienrevolution, die zu dieser Zeit stattfindet.   Ist die Anzahl dieser Skulpturen so gross , dass sie tatsächlich als  Propaganda bezeichnet werden können?  In hundert Jahren entstanden Zehntausende Kirchen, die sich mit ihren  Skulpturen der antiIslamischen Propaganda widmeten. Vor allem: Die  Darstellungen sind meistens aussen angebracht, sie sollen also nicht nur  beim Gottesdienst wirken, sondern bei den Markttagen und im Alltag.  Wichtig ist auss erdem, dass in dieser Zeit die Bildhauer ihre  Darstellungen signierten - das heisst, sie sicherten sich ihre Trophäen,  ihr Visum ins Paradies. Wir kennen etwa 500 verschiedene Signaturen.  Diese Bilder gegen die Muslime wiesen ihre Hersteller gleichzeitig als  brave Christen aus. Und vergessen Sie nicht: Bildnerische Darstellungen  für das Volk waren zuvor eigentlich nicht vorhanden. Die Skulptur ist zu  dieser Zeit in dieser Gegend als bildnerisches Genre noch ganz am  Anfang! So etwas sprach sich herum, das wirkte dauerhaft und lange.   Wieso nennen Sie den Begriff Romanik "so genannt"?  Weil er nicht zutrifft. Da wird ein architektonisches Merkmal benutzt,  um den Geist einiger Jahrhunderte zu charakterisieren? Das ist absurd!  Zugegeben - dieser Rundbogen ist römisch. Er symbolisiert den  Triumphbogen. Triumph worüber? Über den Islam! Der Islam ist mit der  Entstehung Europas sehr eng verknüpft - das ist schon lange bekannt. Ich  nenne diese Zeit deshalb die Zeit des AntiIslamismus. Und weil wir  gerade bei den Begriffen sind: "Mittelalter" ist genauso nichts sagend.  Die Herausbildung und der Kampf zweier Religionen prägen diese Epoche:  Es ist das Islamisch-christliche Zeitalter.   Aber finden Sie es nicht normal, dass man sich durch die Abgrenzung von  seinen Feinden definiert?  Nein, überhaupt nicht. Weder die chinesische, ägyptische, indianische  oder Islamische Hochkultur hatten ein Feindbild nötig, um sich ihrer  Werte bewusst zu werden. Und auch nicht die christliche Religion.  Natürlich wehrt man sich gegen Bedrohungen, natürlich macht man  Eroberungen. Aber das Abendland ist ausschliess lich als Gegner des  Morgenlandes entstanden. Nur dieses Feindbild rechtfertigte seinen  Bestand. Es hatte nichts, was es als eigene Kultur in fremde Länder  exportieren konnte. Bei Alexios, dem Kaiser von Byzanz, kam ein Haufen  zerlumpter hungriger Bauern an, von dem nichts Gutes zu erwarten war.  Vor allem, weil bekannt war, dass sie viele Plünderungen und  Judenpogrome auf ihrem Wege verübt hatten.   Aber später finden doch eigenständige Entwicklungen statt, die nach  Europa führen.  Ja, sicher. Aber dieses Denkmuster "Odi ergo sum - Ich hasse also bin  ich" - das findet seine Fortsetzung: Die sogenannte Gotik war  antijüdisch. Kolumbus hatte nicht nur die Kreuze auf seinen Segeln, er  hatte auch einen Brief seines Königs an den mongolischen Khan im Gepäck,  um eine Allianz gegen den Islam zu schliess en, falls die Erde doch -  wider Erwarten - rund sein sollte. Man ist hier immer zuerst "anti" -  dann erst wird man etwas. Und ich glaube, dieses Denkmuster blieb nicht  nur in der gross en Politik, es übertrug sich auch in die Psyche des  Einzelnen. Wenn es eine Mentalität gibt, die man tatsächlich als  "typisch europäisch" bezeichnen kann, dann sind es diese Strukturen. Ich  glaube, das funktioniert bis heute.   Das Gespräch führte Frank Schlösser   Der deutsch-chilenische Maler Claudio Lange lebt und arbeitet seit 1973 in Berlin. Drei Jahre lang war er den steinernen Zeugnissen der  abendländischen Kreuzfahrern auf der Spur, gefördert von der  Reemtsma-Stiftung. Dann stand für ihn fest: "Die erste Regung dessen,  was später Europa werden wollte, war die Propaganda für den Kreuzzug.  Erst mit diesem Feindbild entstand Europa." Lange setzt den Begriff  "Anti-Islamismus" an Stelle der Romanik und nennt das Mittelalter das  "Islamisch-christliche Zeitalter". Und er zieht Parallelen zur  Gegenwart: "Odi ergo sum - Ich hasse also bin ich" - heisst es bis heute,  wenn Europäer an ihre Selbstfindung gehen.

.