Muhammad Asad Platz
von Lise J. Abid
Quelle am 29.Nov.2008:
http://www.derIslam.at/
Erst noch zu machende Bemerkung in [Klammern] von Muhammad
Abu Bakr Müller:
Am Montag,
dem 14. April wurde ein Platz vor der Uno-City im 22. Wiener Gemeindebezirk
nach Muhammad Asad benannt. Im Europäischen Jahr des interkulturellen
Dialogs ehrt die Stadt Wien damit den muslimischen Weltbürger und
Islamischen Theologen Leopold weiss
alias Muhammad Asad. "Der
Muhammad-Asad-Platz ist ein Zeichen für das Miteinander unterschiedlicher
Religionen und Ethnien in unserer Stadt", betonte Kulturstadtrat
Mailath-Pokorny in seiner Eröffnungsrede. Die Menschenrechtssprecherin der
Wiener Grünen Alev Korun begrüsste die Benennung als Zeichen "gegen
erstarkenden Rassismus und aggressiver Stimmungsmache gegen Muslime".
Bezirksvorsteher Norbert Scheed meinte, es sei eine wichtige Botschaft,
einen religiösen Vermittler zu ehren, der Religion stets auf der Basis
demokratischer Werte vertreten habe. Der Wiener Gemeinderat Omar Al Rawi
hatte sich für die Benennung eines Platzes nach einem Muslim stark gemacht
und auch ein umfangreiches Programm rund um die Platzeröffnung organisiert.
Neben einer Filmvorfühung des schon bei der Grazer Diagonale sehr gut
angekommen neuen Dokumentarfilms über Muhammad Asad von Georg Misch war auch
eine Podiumsdiskussion sehr gut besucht, u.a. mit dem Sohn des Geehrten,
Talal Asad, einem in den USA lehrenden hoch anerkannten Ethnologen, und
Murad Wifried Hofmann aus Deutschland.
Als ein zum Islam konvertierter Jude hat Muhammad Asad mit seiner
Übersetzung des Koran ins Englische Islamgeschichte geschrieben und gilt bis
heute als Brückenbauer zwischen Religionen und Kulturen.
Wer war Muhammad Asad, der 1900 als Leopold weiss
geboren wurde, 1992 in
Spanien starb und in Granada begraben ist? Ein Grenzgänger zwischen den
Kulturen, über den man viel zu wenig weiss
- soviel steht fest - ein
Orientreisender, den sein späterer Weg nicht nur durch die Islamische Welt
von Marokko über Ägypten und Saudi-Arabien bis nach Persien, Afghanistan und
Pakistan, sondern immer wieder auch in den Westen führte. Doch Muhammad
Asads wichtigste Route kann man nicht auf einer Landkarte verfolgen: man
muss dazu in die Geisteswelt des Islam eintauchen, denn diese Reise
durchkreuzt die Grenzen der Kulturen.
Geboren wurde
Leopold weiss
in einer jüdischen Familie, die in Lemberg, Galizien, lebte.
Die Stadt, die damals zu Österreich gehörte, liegt heute in der Ukraine. Der
Vater war Advokat, seine Mutter die Tochter eines Bankiers. Jüdische
Gelehrsamkeit gehörte zur Familientradition, der Grossvater väterlicherseits
war Rabbiner. Auch Leopold wurde schon im Kindesalter in Hebräisch
unterwiesen, das er mit 13 Jahren fliess
end beherrschte. Der Ausbruch des 1.
Weltkrieges veranlasste die Familie, 1914 nach Wien zu fliehen. Die drei
Kinder absolvierten hier das Gymnasium; nach dem Willen des Vaters sollte
Leopold die Universität besuchen. Zunächst fesselten ihn Freuds Gedanken zur
Psychoanalyse, dann inskribierte er Philosophie. Eine gröss
ere Faszination
übten auf ihn aber die Wiener Kaffeehäuser mit ihrem debattierfreudigen
Publikum und den Stammtischen des "Wiener Kreises" aus. Die Psychoanalyse
enttäuschte ihn bald durch ihre "Selbstgefälligkeit" und - wie weiss
später
in seiner Autobiographie schrieb - weil sie es versäumte, "... neue Wege zum
rechten Leben zu weisen". Auch schien ihm der Wissenschaftsbetrieb wohl zu
trocken und es hielt ihn nur etwa ein Jahr an der Alma mater. 1920 ging er
nach Berlin, wo er im Kreis der literarisch-künstlerischen Bohème seine
Karriere-Chancen auslotete. Sein Vater nahm ihm den Studienabbruch übel und
entzog ihm seine Unterstützung. Doch Leopold genoss, zum ersten Mal auf sich
allein gestellt, zunächst seine Freiheit. In den Jahren der Weimarer
Republik war Berlin eine pulsierende Kulturmetropole, die Künstler und
Intellektuelle aus ganz Europa, vor allem aber aus Wien anlockte. weiss
berichtet in seinen Memoiren über Begegnungen mit Max Reinhardt, Bertold
Brecht, Marlene Dietrich - doch wenn es um den Lebensunterhalt ging, teilte
er das Schicksal der Bohème im Europa der Zwanzigerjahre. Sein erstes Geld
verdiente der junge Mann als Drehbuchautor und Assistent des Regisseurs
Friedrich W. Murnau; dazwischen musste er sich mit Telefondiensten bei der
gröss
ten Nachrichtenagentur jener Zeit über Wasser halten. Durch einen
Bekannten erfuhr der hellhörige Telefonist vom Besuch der Gattin Maxim
Gorkis und machte ohne Genehmigung des Chefredakteurs mit ihr ein Interview.
Die Sensationsmeldung brachte ihm zuerst eine Rüge, dann aber die
Beförderung zum Hilfsredakteur ein. "Endlich war ich Journalist",
begeisterte sich Leopold weiss
- war er doch seinen ehrgeizigen Plänen, die
ihn bewogen hatten, Wien zu verlassen, ein Stück näher gekommen.
In Berlin lernte er Anfang der Zwanzigerjahre die Malerin Elsa Schiemann
kennen. Die um etliche Jahre ältere, geschiedene Frau übte auf ihn eine
unwiderstehliche Anziehungskraft aus und zwischen den beiden entspann sich
eine schicksalhafte Beziehung.
Aber noch ein Ereignis sollte das Leben des jungen Leopold weiss
massgeblich
verändern: im Frühjahr 1922 erhielt er einen Brief seines Onkels Dorian
Feigenbaum, eines Psychoanalytikers, der nach Palästina ausgewandert und
dort als Leiter der psychiatrischen Krankenanstalt "Ezrath Nashim" tätig
war. Feigenbaum lud Leopold ein, einige Monate bei ihm in Jerusalem zu
verbringen und der junge Mann willigte rasch entschlossen ein. Er war nicht
abgeneigt, Europa eine Zeitlang den Rücken zu kehren, denn in ihm und um ihn
waren UnRuuhhe und eine latente Unzufriedenheit, die er selbst folgendermassen
beschrieb:
"Das waren sonderbare Jahre, jene frühen zwanziger Jahre in Mitteleuropa.
Das weitverbreitete Gefühl gesellschaftlicher und moralischer Unsicherheit
hatte eine Art verzweifelter Hoffnungsfreudigkeit hervorgebracht, die sich
nunmehr in allerlei kühnen Versuchen auf den Gebieten der Musik, der Malerei
und des Theaters äusserte und gleichzeitig auch zu tastenden, oftmals
revolutionären Untersuchungen über die Morphologie der Kultur und Geschichte
führte, aber Hand in Hand mit diesem gewaltsamen Optimismus ging eine
seelische Leere - eine vage, zynische Gleichwertung aller Werte und Unwerte:
denn man hatte angefangen, an des Menschen Zukunft zu zweifeln .... Trotz
meiner Jugend war es mir nicht verborgen geblieben, dass es nach der
Katastrophe des Weltkrieges nicht mehr mit rechten Dingen in der
zerbrochenen, bitteren, gefühlsmässig allzu hoch gespannten europäischen Welt
zuging."
Die Reise nach Palästina führte Leopold weiss
über Kairo. Die Stadt und ihre
Bewohner müssen auf ihn faszinierend gewirkt haben, wie aus seinen
Aufzeichnungen hervorgeht:
"Ich stand ....einem mir gänzlich neuen Lebensgefühl gegenüber. Ein warmer,
menschlicher Hauch schien aus dem Blute der arabischen Menschen in ihre
Gedanken und Gebärden zu strömen; da war nichts von jenen schmerzhaften
Seelenspaltungen zu sehen, jenen Gespenstern der Angst, Gier und innerer
Verdrängung, die das europäische Leben so hässlich und hoffnungsarm machten.
In den Arabern begann sich mir etwas zu offenbaren, wonach ich immer
unbewusst gesucht hatte .... eine Vernunft des Herzens, möchte man beinah
sagen."
Die lange Fahrt und die Zwischenaufenthalte nutzte weiss
für erste
journalistische Beobachtungen. Die Reise führte über Constanza, das Schwarze
Meer, durch den Bosporus nach Ägypten und von dort nach Jerusalem. Einige
unterwegs von ihm verfasste Artikel schickte weiss
an europäische Zeitungen.
Bald wurde er Sonderberichterstatter der Frankfurter Zeitung - der heutigen
Frankfurter Allgemeinen - und erhielt auss
erdem einen Vertrag für sein erstes
Buch. Bei seinem Onkel in Jerusalem hielt sich der unternehmungslustige
junge Mann nicht allzu lange auf, da ihn seine neuen journalistischen
Verpflichtungen bald kreuz und quer durch den Orient bis nach Teheran und
auf späteren Reisen ins Innere Afghanistans führten. Dennoch knüpfte er in
Palästina Bekanntschaft sowohl mit Arabern als auch mit jüdischen
Einwanderern. In seinen Schriften bekannte sich weiss
zu seiner jüdischen
Abstammung und setzte sich auch mit der "Sehnsucht des jüdischen Volkes nach
einer Heimstätte" auseinander. Dem politischen Zionismus stand er jedoch
ablehnend gegenüber; er sah darin lediglich "die Absicht, die
Gesellschaftsproblematik von Europa nach Palästina verlagern", schreibt
Günther Windhager in einer wissenschaftlichen Biografie des Leopold weiss
.
Schon damals erschien es dem jungen Mann bedenklich, dieses Land für die
Juden zu "einem Heimatland nach europäischen Vorbildern und mit europäischen
Zielen" zu machen, während die Interessenlage der arabischen Bevölkerung
ungeklärt blieb. Diese Meinung vertrat Leopold weiss
unter anderem in einem
Streitgespräch mit Chaim Weizmann, dem damaligen Präsidenten der
Zionistischen Weltorganisation und späteren ersten Präsidenten Israels.
Dagegen hatte "bereits die erste Berührung mit der arabischen Lebenswelt in
Ägypten ... auf ihn eine starke emotionale Wirkung. Er empfindet sie als
krassen Gegensatz zum materialistisch geprägten Alltag in Europa ...",
schreibt Günther Windhager und rekonstruiert, wie weiss
auf dieser zweiten
ausgedehnten Orient-Reise der Gedankenwelt des Islams näher kam. Das
Erlernen des Arabischen bedeutete für Leopold weiss
dank seiner Kenntnis des
Hebräischen keine gross
en Schwierigkeiten. Wieder in Deutschland, nahm weiss
1926 vor der Islamischen Gemeinde in Berlin den Islam an, einige Wochen
später folgte diesem Entschluss auch Elsa Schiemann. Den muslimischen Namen
Muhammad Asad nahm Leopold weiss
offenbar schon damals an, wobei "Asad", was
"Löwe" bedeutet, dem "Leo" seines Vornamens nachempfunden ist.
Als Hintergrund für weiss
' Übertritt zum Islam ortet Windhager, dass "die
Suche nach einem 'neuen Menschen', nach neuen Modellen des Zusammenlebens
... ein zentrales Motiv der europäischen Geisteskultur nach dem Ersten
Weltkrieg" gewesen sei; er vermutet jedoch bei weiss
"den eigentlichen Kern
als Ausdruck des subjektiven Verlangens ... nach neuer kultureller
Identität." Folgt man dem Autor, so entbehrte dieser Schritt nicht einer
gewissen Romantik: "Die Attraktivität, die vom Islam auf den jungen
Journalisten ausging, war untrennbar an ein idealisiertes Bild der
arabischen Beduinen geknüpft, in deren Gegenwart er sich selbst 'einen
Augenblick lang mitten im 'rechten Leben' fühlte ... : 'Das Leben ist immer
und von jeder Seite greifbar und für den Greifenden nicht belastend.' "
Muhammad Asad war aber mehr als bloss ein abenteuerlustiger Romantiker. Aus
seinen tiefsinnigen Betrachtungen geht hervor, dass er sich die Entscheidung
des Übertritts zum Islam nicht so leicht gemacht hat. Die Situation in
Europa, die angesichts des aufkeimenden Antisemitismus für ihn als Jude
besonders drückend gewesen sein muss, spielte dabei sicher eine Rolle. Am
Anfang stand vielleicht eine individuelle Suche nach Gemeinschaft, die aber
bald zur Suche nach Sinn, nach Lebensinhalt wurde.
Seine Konversion beschrieb rückblickend er als logischen Schritt: "Ich
versuchte, mir mich selbst innerhalb des Kreises des Islams vorzustellen. Es
war ein rein intellektuelles Experiment, und es eröffnete mir innerhalb sehr
kurzer Zeit die richtige Lösung".
Angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Umbrüche in Europa zu Beginn
des 20. Jahrhunderts, der Auflösung des traditionellen Wertegefüges, der
spirituellen Orientierungslosigkeit und den fortschreitenden
Modernisierungsprozessen der europäischen Gesellschaft entdeckte weiss
für
sich den Islam, den er als egalitäres Gesellschaftsmodell auffasste. Es
steht in bemerkenswertem Gegensatz zum heute oft kolportierten Image des
Islam, wenn weiss
in seinem zweiten Buch "Der Weg nach Mekka" (1955)
schreibt:
"Das erste Beispiel einer offenen, ideologischen Gesellschaft im Gegensatz
zu den geschlossenen, rassisch oder geographisch bedingten
Gesellschaftsformen der Vergangenheit. Die Islamische Botschaft forderte und
gebar eine Zivilisation, in welcher der Nationalismus keinen Platz hatte, in
welcher es keine Klasseninteressen gab, keine Klassenunterschiede, keine
Kirche, kein Priestertum, keinen erblichen Adelsstand, und überhaupt keine
erblichen Privilegien. Das Ziel war, eine Theokratie in der Beziehung zu
Gott und eine Demokratie in den Beziehungen zwischen den Menschen zu
errichten."
In seinen Werken begegnet uns Asad zwar als Wahrheits- und Gottsucher,
jedoch scheint ihn am Islam besonders dessen praktische Dimension angezogen
zu haben, als "ein Glaube ..., der stärker als je ein anderer das Leben auf
dieser Erde bejaht ..."- so im Schlussteil seiner Autobiografie zu lesen. Er
war jedoch nicht blind gegenüber der gewaltigen Kluft zwischen Ideal und
Realität, die sich ja direkt vor seinen Augen in den muslimischen Ländern
auftat. Deshalb kritisierte er wiederholt "die Unfähigkeit der
zeitgenössischen Muslime", diese Ideale zu verwirklichen - ein Vorwurf, den
auch andere muslimische Reformdenker geäussert haben, und mit dem sich die
Muslime bis heute selbstkritisch auseinanderzusetzen haben.
In der jetzt wieder aufgeflammten Diskussion um die Demokratiefähigkeit des
Islam gebührt Muhammad Asads Ideen mehr Aufmerksamkeit - auch von
muslimischer Seite. In seiner idealistischen Darstellung fallen einige
Punkte auf: Asad, der zu dieser Zeit schon eine profunde Kenntnis der
Islamischen Lehre erworben hatte, spricht von einer "offenen Gesellschaft",
was in krassem Gegensatz zum heute verbreiteten Verständnis einer religiös
begründeten Gemeinschaft steht. Dem Islam wird oft vorgeworfen, nicht nur
Religion, sondern auch Ideologie zu sein - und ist denn eine ideologische
Fixierung mit Offenheit vereinbar? Für Asad schliesst Ideologie - im Sinne
von Weltanschauung - eine offene Gesellschaft keineswegs aus.
Als weiterer wichtiger Punkt klingt die Idee einer "klassenlosen
Gesellschaft" an - in einer Zeit, in der die russische Revolution dieses
Prädikat für sich reklamierte, wohl eine gewagte Feststellung. Für Asad
liegt sie jedenfalls im Anspruch der sozialen Gerechtigkeit und
wirtschaftlichen Ausgewogenheit des Islam begründet - auch dies Ideale, die
leider bis heute in keinem muslimischen Land umgesetzt werden konnten.
Der dritte Faktor, das Verhältnis von Theokratie und Demokratie, lässt
einige Fragen offen. Muhammad Asad hat sich in späteren Arbeiten damit
ausführlicher befasst.
Doch was hat es mit dem Buch "Der Weg nach Mekka" auf sich? Es ist - wie
Asads Witwe Pola Hamida betont, seine "spirituelle Autobiographie". Zunächst
aber lag eine ganz besondere Reise diesem Werk, das ein Bestseller wurde,
zugrunde. 1927 brach Muhammad Asad von Berlin aus gemeinsam mit Elsa
Schiemann und deren Kind aus erster Ehe zur gross
en Pilgerfahrt, der Haddsch,
auf. Auf der ersten Station in Ägypten wurde die Konversion nochmals
offiziell beglaubigt und eine Islamische Ehe geschlossen. Elsa erhielt den
Namen Aziza, ihr damals knapp zehnjähriger Sohn den Namen Ahmad. Dann
brachen die drei nach Arabien auf und vollzogen die Riten der Pilgerfahrt.
Kurz danach trat bei Elsa eine akute Malaria tropica-Infektion auf, die sich
dramatisch auswirkte - sie starb im Juni 1927 in Mekka, wo sie auch begraben
ist. Der Tod der langjährigen geliebten Gefährtin und Vertrauten traf
Muhammad Asad schwer. Auf anstrengenden Touren ins Innere Arabiens suchte er
Vergessen und lernte die Einsamkeit der Wüste kennen.
Heinrich Schiemann blieb noch über ein Jahr bei ihm, dann kam er - vor allem
zwecks regelmäss
igem Schulbesuch - zu Verwandten nach Deutschland. Schiemann
wurde später selbst Wissenschaftsjournalist. Mit Muhammad Asad blieb er in
Verbindung, solange dieser am Leben war. In den 50er Jahren verbrachte er
einige Monate bei ihm in Pakistan. Im November 2002 starb Heinrich Schiemann
im hohen Alter in der Nähe von Wiesbaden. An die gemeinsamen Reisen mit
"Poldi" - so wurde Leopold weiss
von Verwandten genannt - erinnerte er sich
bis zuletzt. Günther Windhager hat viel von Schiemanns Erinnerungen in sein
Buch aufgenommen. Interessant ist, wie Schiemann das Islamverständnis seines
Stiefvaters Muhammad Asad und das seiner Mutter in einem Brief vom 24.4.1997
an den Ethnologen Windhager beschrieb:
"P(oldi). (begeisterte sich) für die Islamische Auffassung, dass -
gottgewollt natürlich - das Geistige und das Materielle eine Harmonie
bildete, wie es denn auch im Fleischlichen, Materiellen nichts Sündhaftes
gibt, sagt der Muslim. P(oldi). und E(lsa). Sahen diese Weltsicht durch ein
von ihm erahntes, Islamisches Lebensgefühl bestätigt, erkennbar an den
Bewegungen der Körper von Männern und Frauen, also an deren Sprache,
Heiterkeit, an dem mit der Schöpfung im Einklang-Sein, und natürlich an der
typischen Gelassenheit des Wesens. Man brauchte ja z.B. nur beobachten, wie
eine Ägypterin Wasser aus dem Nil schöpft, den Krug dann auf dem Kopf, in
einer geraden Haltung des ganzen Körpers, nach Hause trägt. Und so gibt es
auch keine Hast, keine Verkrampfung. Und noch etwas kommt hinzu: Gott ist
immer ganz nah beim Gläubigen, 'so nah, wie dir deine Schlagader ist' ....
Und so beginnt jede Handlung, jede Mahlzeit, mit den Worten 'Bismillah', Im
Namen Gottes, so wie die Mutter, die ihr Kind trägt, dieses Wort kurz
ausspricht, wenn das Kind auf der Hüfte etwas zu weit nach unten rutscht und
fallen könnte ....."
Im neu gegründeten Königreich Saudi Arabien avancierte Muhammad Asad zum
Vertrauten Ibn Sauds und beriet den Herrscher in dieser sensiblen Zeit. 1930
heiratete er eine arabische Frau namens Munira; 1932 kam der Sohn Talal zur
Welt. Im selben Jahr verliess Asad mit seiner Familie Saudi-Arabien und lebte
bis 1939 in Britisch-Indien. Dort entfaltete er eine rege
Publikationstätigkeit, lernte den Dichter und Philosophen Muhammad Iqbal
kennen und beteiligte sich an den Vorbereitungen zur Staatsgründung
Pakistans. Die aufklärerische Linie, welche die Arbeit Asads und Iqbals
prägte, wird bis heute von Iqbals Sohn vertreten. Dr. Javed Iqbal ist Jurist
und gehört dem pakistanischen Senat an. Obwohl er Muhammad Asad in den
fünfziger Jahren nur kurz begegnete, lernte er dessen Ideen schätzen. In
einem kürzlich geführten Interview äusserte er den Wunsch, dass der
Reform-Islam heute kräftigere Lebenszeichen von sich geben solle. Er sieht
in den europäischen Muslimen ein beachtliches Potential zur geistigen
Erneuerung des Islam und nennt Muhammad Asad als einen frühen Vertreter
dieser Strömung.
Während dieser Zeit wusste die Familie in Europa nicht viel von "Poldi".
Seine Konversion zum Islam wurde von der Familie nicht gern gesehen, obwohl
man eine liberal-jüdische Richtung vertrat. Dr. Martin Goldenberg, ein
Halbbruder von Leopold weiss
, der in London lebt, erklärte in einem
Interview die Skepsis der Familie:
"Die religiöse Überzeugung - wissen Sie, also mein Stiefvater, der war ein
überzeugter - nicht ein Agnostiker, sondern ein Atheist. Die Idee, dass sein
Sohn das Judentum offiziell verlassen hat, aber nicht dann als säkularer
Mensch gelebt hat - das hätte man verstanden - sondern einer anderen
Religion beigetreten ist, das hat ihn schwer getroffen. Warum weiss
ich
nicht. Aber schliess
lich hat sich das gelegt und nach dem Anschluss, als
Poldi in Kaschmir gelebt hat, da hat er ja immer geschrieben und wir haben
ihm geschrieben, da war das Verhältnis dann ein sehr günstiges. Aber sie
haben sich nie wieder gesehen."
Diese zweite Aussöhnung zwischen "Poldi" und seinem Vater erfolgte leider
nur brieflich. Jedenfalls bereitete die Bedrohung seiner Verwandten durch
die Nationalsozialisten Asad im fernen Indien Sorgen und er versuchte,
seinen Vater, seine Stiefmutter und seine Schwester zu sich nach
Britisch-Indien zu holen. Ob Asad 1939 deshalb nach London reiste, ist
Martin Goldenberg nicht bekannt. Er erzählt jedoch über den Kontakt mit
seinem Stiefbruder:
"Es wurden Briefe gewechselt, er hat uns auch finanziell unterstützt. Aber
wir konnten - nun, wir konnten wahrscheinlich aus Österreich heraus - ich
selbst bin ja davon gekommen - aber man wusste nicht, wohin. Ich konnte aus
bestimmten Gründen nach England kommen. Aber die britischen Behörden in
Indien haben es nicht zugelassen, dass die Familie zu ihm kommt. Denn
letzten Endes, nach dem Anschluss und bei Kriegsausbruch waren wir ehemalige
Österreicher feindliche Ausländer. Heute sieht das alles sonderbar aus, aber
das waren andere Umstände."
Dadurch waren Leopolds Rettungsversuche in tragischer Weise zum Scheitern
verurteilt und die Familie wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort
kam sein Vater Dr. Kiwa (Karl) weiss
noch im selben Jahr um; die Schwester
Rachel und seine Stiefmutter wurden weiter nach Auschwitz und ins KZ
Stuttgart verschleppt, wo sie das Kriegsende nicht erlebten.
Muhammad Asad selbst galt als österreichischer Staatsbürger der britischen
Verwaltung ebenfalls als "feindlicher Ausländer" und wurde bis 1945 in
Indien interniert. Nach der Teilung Indiens flüchtete Asad mit seiner
Familie ins neu gegründete Pakistan. Fünf Jahre lang war er dort im
Aussenministerium tätig. 1952 wurde er Gesandter Pakistans bei den Vereinten
Nationen in New York. In diese Zeit fällt die Trennung von seiner arabischen
Frau Munira, die mit dem Sohn Talal in London geblieben war. Asads
Halbbruder, der Zahnarzt Goldenberg, nahm sich dort des Buben an. Es ist
verständlich, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn Asad nach der
Scheidung der Eltern nicht konfliktfrei war. Erst in späteren Jahren wurde
das Verhältnis zwischen beiden wieder harmonischer. Talal Asad studierte in
London. Zeitweise war er bei seiner Mutter in Saudi Arabien, bis sie 1978
starb. Heute ist er Professor für Anthropologie und lebt mit seiner Frau in
den USA. Mit dem mittlerweile betagten Martin Goldenberg ist er noch immer
in Verbindung.
Während seiner Zeit als UNO-Diplomat in New York machte Asad die
Bekanntschaft einer jungen amerikanischen Muslimin namens Pola Hamida, die
er schliess
lich heiratete. Er verliess schon 1953 den diplomatischen Dienst
und lebte mit seiner Frau, die aus Polen stammte, abwechselnd in New York,
Deutschland, Pakistan und der Schweiz. Es entstanden weitere Bücher und
Aufsätze, für Radio Bern gestaltete er eine Sendereihe unter dem Titel
"Islam und Abendland - Begegnung zweier Welten". 1961 erschien sein Werk "The
Principles of State and Government in Islam" in einer Erstausgabe der
Universität Berkeley in Kalifornien. Dieses bemerkenswerte Buch liefert zwar
kein fertiges Rezept, es gibt jedoch Denkanstösse für ein
demokratisch-Islamisches System, die konsequent weiter gedacht werden
sollten. Er kritisierte auch die Jahrhunderte lange Entrechtung der
muslimischen Frau und betrachtete ihren Zugang zur Bildung als eine
Voraussetzung für den Fortschritt der Islamischen Welt. Asad, der den Islam
- in Anlehnung an einen Koranvers - stets als einen Weg der Mitte
bezeichnete, lebte von 1964 bis 1983 in Tanger, Marokko. Dort, wo er von
seinem hochgelegenen Domizil, der "Villa Asadiya" von den Hügeln auf Stadt
und Meer blicken konnte, entstand sein Hauptwerk, eine ausführlich
kommentierte Koran-Übertragung, die durch ihre wissenschaftlichen
Gedankengänge besticht. In späteren Lebensjahren hat Muhammad Asad dem
Konflikt um das Heilige Land weiterhin gross
e Aufmerksamkeit gewidmet, und
Ende der 70er Jahre plädierte er in einer Botschaft an die Muslim Students
Association in den USA dafür, dass Jerusalem als "offene Stadt" für Juden,
Christen und Muslime gleichermassen zugänglich sein solle.
Die Verwirklichung Islamischer Ideale in der muslimischen Welt hat Muhammad
Asad nicht erlebt. Das enttäuschte ihn zwar, die hohen Ansprüche der Lehre
standen für ihn jedoch auss
er Zweifel. Nach wechselnden Aufenthalten in
muslimischen und westlichen Ländern liess er sich im Alter in Spanien nieder.
Denn die Geschichte des Islam in Andalusien mit ihrer feinsinnigen Kultur
und ihrer weit reichenden Toleranz kam seinem Ideal am nächsten. Im Laufe
seines Lebens schrieb er über viele Aspekte des Islam; sein wichtigstes Werk
ist das bereits erwähnte Tafsir, die Koran-Übertragung ins Englische . Über
seine Arbeiten sagte der deutsche Konvertit Muhammad Aman Hobohm, ein enger
Freund Asads, in einem Interview:
"Die Prämisse, von der er ausging war, dass die Lehren des Islam in keiner
Weise dem Verstand zuwider laufen, dass sie natürlich - da es sich beim
Islam um eine Religion handelt - verstandesmässiges Erfassen der Wahrheit
ergänzen durch den Glauben. Aber er war der Meinung, dass man sich lösen
müsse von alten Schablonen und von einer Auslegung des Koran und auch
anderer Schriften des Islam, die nicht einer verstandesmässigen Kritik oder
Überprüfung standhalten. Das hat natürlich dazu geführt, dass er bei
traditionellen Kreisen auf Ablehnung stiess. Jahrelang war seine
Koran-Übersetzung in Saudi-Arabien verboten. Ich weiss
nicht, ob sich das
inzwischen geändert hat, aber man meint, dass sein Rationalismus in der
Deutung des Koran zu weit gegangen sei. Für mich und für die meisten
europäischen Konvertiten zum Islam, vor allem für jene, die nachdenken, ist
er ein Wegweiser in seiner Darstellung des Islam."
Muhammad Asad starb am 20. Februar 1992 und hat auf dem muslimischen
Friedhof von Granada seine letzte Ruuhhestätte gefunden.
Vielleicht war er ein Visionär - er war aber gleichzeitig auch Realist. Sein
Verhältnis zum Islam vermied jegliche Extreme, denn die Vernunft, die er mit
dem Islam untrennbar verbunden sah, gebot und gebietet einen Weg der
"goldenen Mitte". In diesem Sinne hat Asad auch den Koran-Vers 143 in der 2.
Sure, ausgelegt, in dem die Muslime als eine "Gemeinschaft der Mitte"
bezeichnet werden. Asad interpretiert dies als eine Gemeinschaft, die sich
im Gleichgewicht halten solle, anstatt in Extreme zu verfallen und die die
Natur und Möglichkeiten des Menschen realistisch einzuschätzen habe. Diese
Ideen haben für die Muslime Europas heute mehr Aktualität denn je. Muhammad
Asads Islam-Verständnis ist nicht an Dogmen gebunden - er unternahm das
geistige Abenteuer, aus dem vielfältigen Material der Islamischen Geschichte
das Beste zu extrahieren und in einem modernen Kontext zur Diskussion zu
stellen: "Für Menschen, die denken" - so lautet die Widmung seiner
Koran-Übertragung.
Lise J. Abid
Die in diesem Artikel erwähnten Interviews wurden von der Verfasserin
durchgeführt